Paukenschlag für Diesel-Käufer
Der Käufer eines VW mit Schummel-Software darf seinen Wagen zurückgeben und erhält einen großen Teil seines Kaufpreises zurück. Der Bundesgerichtshof hat damit ein wegweisendes Urteil im Diesel-Skandal gefällt.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Reizthema Diesel
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich auf die Seite der Käufer von manipulierten Diesel-Fahrzeugen gestellt. Am 25. Mai erklärte das höchste deutsche Zivilgericht: Der Besitzer eines VW-Sharan mit Schummel-Software darf seinen Wagen zurückgeben und erhält einen Teil seines Kaufpreises zurück, ebenso wie Verzugszinsen. Denn VW habe ihn sittenwidrig getäuscht. Allerdings darf der Autokonzern für die gefahrenen Kilometer eine Nutzungsentschädigung abziehen.
Damit hat der BGH endlich für Klarheit gesorgt. Denn an den höchstrichterlichen Entscheidungen aus Karlsruhe orientieren sich alle unteren Instanzen. Bisher wurde die Frage, ob VW Schadenersatz schuldet, je nach Gericht unterschiedlich beantwortet. Außerdem wurden unzählige Gerichtsprozesse mit Vergleichen beendet. Laut VW sind aktuell noch rund 60.000 Verfahren anhängig. Diese dürften nun schnell zugunsten der Kläger entschieden werden. Anwälte und Rechtsdienstleister erwarten nach diesem Grundsatz-Urteil eine neue Klagewelle, die auch andere Autohersteller betreffen könnte, die bei der Abgasmessung getrickst haben.
Auch für die VW-Käufer, die in der Musterfeststellungsklage des Verbraucherschutzverbandes den Vergleich abgelehnt haben, kann es ein erfolgreiches Ende geben, wenn sie nun selbst vor Gericht ziehen.
Der Fall
Es ging um einen manipulierten VW Sharan mit einem Dieselmotor des Typs EA 189. Der Kunde hatte den PKW im Jahr 2014 als Gebrauchtwagen bei einem freien Händler gekauft. Ein Jahr später räumte VW ein, die Abgasgrenzwerte durch Verwendung einer bestimmten Abschalt-Software manipuliert zu haben. Dadurch haben die Fahrzeuge in Testsituationen einen geringeren Schadstoffausstoß vorgegeben, als es im tatsächlichen Straßengebrauch der Fall war.
Das Kraftfahrtbundesamt forderte VW auf, die Abschalteinrichtung zu beseitigen. Der Käufer sah sich getäuscht und klagte auf Rückabwicklung des Kaufvertrages samt Rückzahlung des Kaufpreises von rund 31.500 Euro. Im Juni 2019 sprach das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz ihm eine Entschädigung in Höhe von 25.616,10 Euro nebst Zinsen für die Rückgabe seines Fahrzeugs zu.
Die restlichen rund 6.000 Euro zogen die Richter in Anrechnung der bereits vom Käufer gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil ab. Der Käufer verlangte aber, dass VW ihm den vollen Kaufpreis erstattet. Deshalb legte er Revision beim Bundesgerichtshof ein. VW wollte ebenso die Revision: Dort war man der Ansicht, dass dem Kläger und allen anderen Diesel-Käufern gar kein Schaden entstanden sei.
Das Urteil
Der BGH wies mit seinem Grundsatz-Urteil die Revision des Diesel-Käufers und im Wesentlichen auch die von VW zurück. Er bestätigte das käuferfreundliche Urteil des OLG Koblenz: Der Mann habe darauf vertraut, ein einwandfreies und umweltfreundliches Auto zu kaufen. Tatsächlich sei es ohne das vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordnete Software-Update von der Stilllegung bedroht. Das sei eine sittenwidrige Täuschung.
Das Verhalten von VW sei besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, erklärt der BGH in seinem Urteil.
Deutliche Worte fanden die Richter für die Geschäftspraktik des Konzerns: "Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden", so die Pressemitteilung.
"Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt."
Schon im Februar 2019 hatte der BGH in einem Hinweisbeschluss verkündet, dass er Dieselautos mit manipulierter Software für fehlerhaft hält.
Abzug für gefahrene Kilometer
Nun muss VW den Sharan zurücknehmen und den vom OLG Koblenz ermittelten Schadensersatz zahlen. Die Nutzungsentschädigung, die dem Fahrer abgezogen wird, ist in den Augen des Rechtsanwalts Claus Goldenstein ein kleiner Wermutstropfen. Dieser Posten beschreibt, wie sich die gefahrenen Kilometer des Kfz negativ auf die Entschädigungssumme auswirkt.
Die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet sich aus dem Anteil der bisher zurückgelegten Kilometer an der maximalen Laufleistung jedes Fahrzeuges. Letztere wird in der Regel mit etwa 250.000 bis 350.000 Kilometern beziffert. Hat ein Auto also 150.000 Kilometer zurückgelegt und es wird eine Maximalleistung von 300.000 Kilometern angenommen, wird eine Nutzungsentschädigung von 50 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises von der Entschädigungssumme abgezogen. Daher werfen manche Anwälte VW vor, durch eine Verzögerung der Gerichtsprozesse die Schadensersatzsumme gezielt zu verringern.
Noch mehr Klagen
Am 21. und 28 Juli 2020 stehen drei weitere mündliche Verhandlungen in Karlsruhe an. Denn es gibt noch andere Fallkonstellationen im Diesel-Skandal: Manche Kläger haben ihr Auto erst gekauft, als der Betrug schon bekannt war. Andere haben nicht gegen VW, sondern gegen ihren Autohändler geklagt. Die einen haben das Software-Update aufspielen lassen, die anderen nicht. Auch die Frage, wann der Abgasskandal beim Motor EA 189 verjährt ist, steht dabei auf der Tagesordnung.
Auch Europa-Urteil kommt
Neben dem BGH könnte auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Autoindustrie auf die Finger klopfen: Die Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH stufen das in neuen VW-Motoren EA 288 eingebaute sogenannte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung ein. Sollten die Richter dieser Rechtsauffassung folgen, würden allein in Deutschland Millionen Fahrzeug-Rückrufe und eine Klagewelle drohen. Denn neben VW und Audi verwenden auch Skoda, Daimler, Opel, Renault, Seat, Volvo und BMW solche Thermofenster.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Mai 2020, Az. VI ZR 252/19
Dieselskandal Europarichter sollen zentrale Frage klären: Wie ist der Begriff "Abschalteinrichtung" auszulegen? Lesen Sie hier > mehr!
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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