Neue Hoffnung für Diesel-Käufer
Der Bundesgerichtshof hält Schummel-Diesel für mangelhaft. Autokäufer haben damit das Recht, ihre Fahrzeuge zurückzugeben.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Reizthema Diesel
Gerichte haben nun eine Marschrichtung für alle Diesel.
Endlich ein Machtwort von höchster Stelle! Nein, nicht Merkels Regierung, sondern der Bundesgerichtshof (BGH) stellt sich auf die Seite der geprellten Diesel-Fahrer. Obwohl der Prozess gegen VW durch den Kläger vorzeitig beendet wurde, hat der BGH einen Beschluss veröffentlicht, in dem er seine Rechtsansicht publik macht. In Juristenkreisen wird dieses Vorgehen als sehr ungewöhnlich bezeichnet. Das höchste Zivilgericht stellt sich darin auf die Seite der Autofahrer: In dem Beschluss teilen die Richter ihre Auffassung mit, ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung habe einen Sachmangel.
Autokäufer, deren Ansprüche noch nicht verjährt sind, könnten daher ihren Wagen zurückgeben und die Lieferung eines Neufahrzeugs verlangen. Auch in einem zweiten Punkt stärkt der BGH die Kunden: Wenn das baugleiche Modell nicht mehr vertrieben wird, habe der Käufer Anspruch auf Lieferung des Nachfolgemodells, so der Beschluss.
Wichtige Fragen und Antworten zum Thema Diesel-Fahrverbot finden Sie hier!Der BGH sollte eigentlich am 27. Februar über diesen Fall entscheiden (Az. VIII ZR 225/17). Aber der klagende Autokäufer hat sich eine Woche vorher mit dem Hersteller außergerichtlich geeinigt und die Revision zurückgenommen. Der Konzern hat schon bei tausenden Fällen diesen Weg gewählt, weil er ein höchstrichterliches Grundsatzurteil vermeiden will. Anfang Januar war schon ein anderes Verfahren beim BGH geplatzt.
Mangel wegen Manipulations-Software
Der Fall: In dem Rechtsstreit hatte der Käufer eines VW Tiguan 2.0 TDI der ersten Generation gegen seinen Händler geklagt. Die Abgas-Software war so manipuliert, dass der Stickoxid-Grenzwert nur im Prüfverfahren eingehalten wurde, aber nicht im normalen Straßenbetrieb. Der Käufer verlangte ein Neufahrzeug mit identischer Ausstattung, der Händler lehnte dies ab, weil das neue Modell technisch anders sei.
Der Hinweisbeschluss: Zum ersten Mal hat das oberste Zivilgericht die Softwaremanipulation juristisch als Sachmangel eingestuft. Denn es bestehe dadurch die Gefahr, dass ein solches Auto von den Behörden aus dem Verkehr gezogen wird. Der Käufer hat also Gewährleistungsrechte gegenüber dem Händler: Er kann vom Verkauf zurücktreten, einen Preisnachlass, Nachbesserung oder Nachlieferung eines fehlerfreien Fahrzeugs verlangen. 
Der Händler habe mit dem Vertrag auch eine Beschaffungspflicht übernommen, sagen die Richter. Für seine Interessenlage seien die Kosten maßgeblich, nicht ob das gleiche Modell noch verfügbar sei. Damit muss der Händler – gegen Rückgabe des alten Diesel – das Nachfolgemodell liefern.
Gerichte haben nun eine Marschrichtung für alle Diesel
"Die Hinweise dürften eine generelle Marschrichtung im Umgang mit vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen darstellen", erklärt die Rechtsanwaltskanzlei Aslanidis, Kress und Häcker-Hollmann, "unserer Erfahrung nach werden sich die Landes- und Oberlandesgerichte nach den Hinweisen des obersten Gerichtes richten."
Bisher war die Rechtsprechung dazu nicht einheitlich. Der BGH-Beschluss hat die Diskussion jetzt weitgehend beendet. Laut Auskunft von Volkswagen sind derzeit etwa 50.000 Klagen allein gegen die Wolfsburger anhängig. Auch andere Autohersteller müssen sich wegen Abgas-Manipulationen vor den Gerichten verantworten.
Alle Fragen sind aber noch nicht beantwortet. Welche Rolle Software-Updates oder Hardware-Nachrüstungen spielen, ist noch ungeklärt. Und die Masse der Klagen richtet sich nicht – wie hier – gegen die Autohändler, sondern gegen die Hersteller. Für eine Haftung kommt es dort nicht auf den "Mangel" an, sondern auf eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung". Aber auch dies ist keine aussichtlose Sache für die Käufer: Das OLG Köln zum Beispiel hat einem VW-Kunden im Januar Schadensersatz wegen der Schummel-Software zugesprochen.
Dieselklagen häufen sich
Vor dem OLG Braunschweig, in dessen Bezirk der VW-Konzern seinen Firmensitz hat, läuft eine Musterfeststellungsklage des Bundesverbands Verbraucherzentrale mit über 400.000 Beteiligten. Vorstand Klaus Müller sieht in dem BGH-Beschluss eine Signalwirkung auch für die Musterfeststellungsklage, weil "nun klar sei, dass auch nach höchstrichterlicher Auffassung die Verwendung der Abschalteinrichtung nicht hinzunehmen ist."
Die Zahl der Diesel-Klagen ist im letzten Jahr erheblich gestiegen. Allein an hessichen Landgerichten gab es eine Zunahme um 650 Prozent. Am OLG Frankfurt/ Main hat sich die Zahl der Verfahren binnen Jahresfrist mehr als verzehnfacht. Vor dem OLG Hamm liefen über 1.000 Klagen, die alle ohne Urteil, sondern mit Vergleichen endeten. An den Oberlandesgerichten in Stuttgart und Karlsruhe sieht es ganz ähnlich aus. Es bleibe abzuwarten, inwieweit sich der Hinweisbeschluss des BGH auf die Verfahren auswirken werde, erklärte der Präsident des OLG Frankfurt, Roman Poseck. Jeder Einzelfall müsse individuell geprüft werden, es gehe um viele verschiedene Automodelle und unterschiedliche Anspruchsgrundlagen.
→ Die Pressemitteilung des BGH lesen Sie hier.
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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