Ein Jahr lang Politik und Handwerk
Die KH Bergisches Land bietet als bundesweit erste Einsatzstelle im wirtschaftspolitischen Bereich ein FSJ im politischen Leben an – und macht im Herbst gleich weiter.
Nach dem Abitur will Leo van Ackeren erst mal nur eines – "raus in die Welt, mich neuen Herausforderungen stellen". Konkrete Vorstellungen, ob es mit einem Studium oder einer Ausbildung weitergeht, hat der gebürtige Niederrheiner bis zum Ende der Schulzeit nicht. Ein Vorschlag seiner Mutter kommt ihm gelegen. "Leo, ein Freiwilliges Soziales Jahr, wäre das nicht etwas für dich?" Ist es. Also bewirbt sich der politisch interessierte 17-Jährige bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten für ein FSJ im politischen Leben. Ein Angebot der Kreishandwerkerschaft (KH) Bergisches Land macht ihn neugierig. "Was", fragt sich der junge Mann, "hat Handwerk denn mit Politik zu tun?"
Eine ganze Menge – weiß Leo van Ackeren nach mehr als einem halben Jahr in der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der KH. "Viele unserer Betriebe arbeiten in Köln. Ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge träfe sie hart", führt er als Beispiel an. Für das örtliche Handwerk seien aber auch Entscheidungen über verkaufsoffene Sonntage oder Parkplatzkonzepte wichtig. Getroffen werden sie im Rat der Städte und Gemeinden. Davon gibt es im Gebiet der KH einige. Es umfasst die Stadt Leverkusen sowie 21 Gemeinden der Kreise Rhein-Berg und Oberberg. Zu den Aufgaben von Leo van Ackeren gehört deshalb, die Termine aller Ratssitzungen aufzulisten, deren Tagesordnungen nach relevanten Themen zu durchforsten und von der einen oder anderen Sitzung zu berichten.
Keine billige Arbeitskraft
"Unser Ziel ist es, dass die Kreishandwerkerschaft und unsere 13 angeschlossenen Innungen im Gespräch sind", erklärt Katrin Rehse. Seit zwei Jahren leitet sie die Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Idee, ein FSJ-P anzubieten, geht auf sie zurück. Personelle Verstärkung ist ihr willkommen, denn das Aufgabengebiet wächst stetig. "Leo wird von uns aber nicht als billige Arbeitskraft eingesetzt, die nur Kaffee kocht oder kopiert. Er soll sich im Rahmen seines freiwilligen Dienstes ausprobieren dürfen." So redigiert sie die von ihm geschriebenen Texte gewissenhaft, plant sie aber nicht fest für die Berichterstattung ein.
Aufbau eines Instagram-Kanals
"Leo ist in jedes Thema involviert und arbeitet daran mit", versichert Katrin Rehse. Neben dem aktuellen Geschehen kümmert er sich langfristig aber auch um ein eigenes Projekt – den Aufbau eines Kanals auf der Fotoplattform Instagram. "Wenn wir junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk gewinnen möchten, müssen wir in den Sozialen Medien dort vertreten sein, wo sie sich aufhalten."
Leo van Ackeren hat dazu vorab eine Nutzeranalyse erstellt, die Vor- und Nachteile eines Instagram- oder WhatsApp-Verteilers gegeneinander abgewogen, einen Rahmen für die ausgewählten Fotos gestaltet und viele weitere organisatorische Details abgeklärt. "Wir wollen jede Woche eine Innung oder einen ihrer Berufe vorstellen. Die von den Betrieben gelieferten Bilder sollen zeigen, wie modern das Handwerk ist", verdeutlicht der FSJ-Teilnehmer. Seit Juni ist der Instagram-Account online.
Wechsel in ein neues soziales Umfeld geprobt
Vom Freiwilligen Sozialen Jahr profitiert aber nicht nur die Einsatzstelle. "Mir hat das FSJ bislang definitiv geholfen", zieht der inzwischen 18-Jährige ein erstes Fazit. Beruflich und privat zieht es ihn nach Thüringen. In Erfurt möchte er sich – in der Nähe seiner Freundin – um einen dualen Studienplatz in den Bereichen Marketing, Öffentlichkeitsarbeit oder Social Media bewerben. "Ich würde inzwischen auch eine Ausbildung im Handwerk in Betracht ziehen, habe aber leider zwei linke Hände." Den Wechsel in ein neues soziales Umfeld hat er schon geprobt. Für das FSJ-P ist er von der holländischen Grenze ins 100 Kilometer entfernte Bergisch Gladbach gezogen.
Neue Ausschreibung läuft bereits
Infos zu allen Freiwilligendiensten haben die ijgd online zusammengestellt.Zuletzt hat Leo van Ackeren wieder gefragt, was Handwerk denn mit Politik zu tun hat. Doch dieses Mal liefert er die Antwort gleich mit – im selbst verfassten Ausschreibungstext für das nächste FSJ-P. Ab dem 2. September bietet die KH Bergisches Land wieder ein Jahrespraktikum an. "Wir haben sogar schon die ersten Bewerbungen erhalten", freut sich der Hauptgeschäftsführer der KH, Marcus Otto.
Einsatzstellen müssen Mindeststandards erfüllen
Was hat Handwerk denn mit Politik zu tun? Diese Frage musste Katrin Rehse auch den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten beantworten (ijgd). Sie sind anerkannter Träger für das Freiwillige Soziale Jahr im politischen Leben (FSJ-P) und betreuen die Teilnehmer. "Als KH stehen wir im Kontakt mit allen politischen Parteien, die in der Lokalpolitik vertreten sind. Das FSJ-P bei uns bietet also vielfältige Einblicke in die demokratischen Prozesse", verdeutlicht die Leiterin der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der KH.
Um ein FSJ Politik anbieten zu dürfen, müssen jedoch einige Mindeststandards erfüllt werden:
- Die Einsatzstelle ist gemeinwohlorientiert.
- Der Freiwilligendienst ist arbeitsmarktneutral zu gestalten und ersetzt keine bestehenden Arbeitsplätze.
- Die Tätigkeitsfelder sind ganztägig und überwiegend als praktische Hilfstätigkeiten zu verstehen. Darüber hinaus dürfen die Grundwerte und das Leitbild der Einsatzstelle den Arbeitsgrundsätzen von ijgd nicht widersprechen.
Ein FSJ gibt es auch in der Denkmalpflege."Letztlich ist immer der Anerkennungsantrag von Bedeutung und wie das Anerkennungsgremium hier bei ijgd NRW eine potenzielle Einsatzstelle im politischen Bereich verorten kann", erklärt Dominik Franzen, Bildungsreferent für das Freiwillige Soziale Jahr im politischen Leben bei den ijgd Bonn. Bei der KH Bergisches Land habe man durch Gespräche erst auf den zweiten Blick feststellen können, wie gut die Einsatzstelle passt. Bislang sei sie bundesweit die erste und einzige Einsatzstelle aus dem wirtschaftspolitischen Bereich, die ijgd im FSJ im politischen Leben anbietet.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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