Bei einer nachhaltigen Stadtentwicklung muss das Handwerk immer mitgedacht werden. Warum es so wichtig ist, die Standorte in den Städten zu sichern und nachhaltige neue Konzepte zu entwerfen: Interview mit Dr. Carsten Benke vom ZDH.
Für die Erreichung des Ziels einer nachhaltigen Stadtentwicklung spielt das Handwerk eine zentrale Rolle. Wo große Einzelhandelsketten sich zurückziehen oder Kaufhäuser schließen, sind es gerade Handwerker, die der Innenstadt oder dem Ortskern treu bleiben. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), die Kammern und Kreishandwerkerschaften engagieren sich für die Sicherung der Standorte, für gute Rahmenbedingungen, Verkehrskonzepte und dafür, dass das Handwerk bei Entwicklungsprojekten nicht übergangen wird. Darüber haben wir mit Dr. Carsten Benke, Referatsleiter beim ZDH und Experte für Stadt- und Regionalentwicklung, gesprochen.
DHB: Immer mehr Läden schließen in den Innenstädten. Jüngstes Beispiel ist Galeria Karstadt Kaufhof. Was bedeutet das für benachbarte Friseure, Bäcker oder Goldschmiede? Dr. Carsten Benke: Wenn große Magneten des Handels verschwinden oder wenn die Innenstadt wegen langer Leerstände und Vernachlässigung verfällt, wirkt sich das natürlich auch auf deren Umsatz aus. Alle Ladenhandwerker leiden darunter – vom Juwelier, über den Uhrmacher, Fleischer, Textilreiniger, Bäcker, Friseur bis hin zum Eisverkäufer. Deshalb ist es so wichtig, dass man die Innenstädte und Ortskerne insgesamt attraktiv hält.
Wenn in Innenstadtlagen nicht mehr nachhaltig investiert wird, spürt das irgendwann selbst das Baugewerbe. In niedergehenden Innenstädten funktioniert zudem schulische Bildung schlechter und der soziale Zusammenhalt leidet, so dass auch das Handwerk Schwierigkeiten haben wird, Auszubildende zu gewinnen. In den Innenstädten wurden in der Vergangenheit zu viele Fehler gemacht. Es wurden über Jahrzehnte zu einseitig und viele große Handelsflächen in die Städte gebracht. Dazu kamen auch zu viele Flächenentwicklungen auf der "grünen Wiese", was gerade die Nebenzentren, die Kleinstädte und die Dorfzentren geschädigt hat.
DHB: Ist die Entwicklung eine Chance, mehr Handwerker in die Städte zurückzuholen, die die City beleben? Die Betriebe können den Menschen bieten, was gerade gefragt ist: Manufakturen, Regionalität, kurze Wege, nachhaltige Produktion. Benke: Klar ist, dass der stationäre Handel wegen des zunehmenden Online-Handels weniger Flächen braucht. Wir sind uns mit dem Einzelhandelsverband HDE einig, dass der Handel aber weiterhin – in gewandelter Form – die Leitfunktion in den Innenstädten behalten muss - das unterstützen wir nachdrücklich, das Handwerk kann das nicht ersetzten. Für die Nutzung der übrig gebliebenen Flächen eröffnen sich für das Handwerk aber einige Möglichkeiten.
Natürlich kann das Handwerk bei der Bespielung dieser Flächen nur ein Baustein einer neuen funktionellen Vielfalt sein, neben dem Wohnen, den Bildungseinrichtungen, der Verwaltung, der Kultur und der Gastronomie. Schon jetzt sind die Nahversorgungsangebote des Handwerks für attraktive Innenstädte unverzichtbar. Gesellschaftliche Entwicklungen wie der Wunsch nach mehr Regionalität etwa im Lebensmittelhandwerk, nach qualitätvollen Produkten beispielsweise im Möbelbereich oder bei Einrichtungsgegenständen bieten dem Handwerk zusätzliche Chancen für Angebote in den Quartieren, vielleicht auch in neuen Präsentationsformen und Schauwerkstätten.
Dazu kommt, dass die Gesellschaft älter wird und Dienstleister direkt vor Ort braucht: Die "Stadt der kurzen Wege" wird auch angesichts der angestrebten Mobilitätswende wichtiger. Da stehen gewaltige Umbrüche an. Außerdem ist es ein Ziel von EU und Bundespolitik, dass Gebrauchsgegenstände und Elektrogeräte vermehrt repariert werden. Die Frage ist auch, ob man künftig moderne Anlagen und Techniken für die Energiewende in den Innenstädten präsentiert und dazu berät und nicht nur im Gewerbegebiet oder im Hinterhof. Das Handwerk kann sichtbarer werden: für Kunden und Fachkräfte. All das bietet Chancen für das Handwerk. Ob das Ideen und Einzelfälle bleiben oder sich Trends entwickeln, wissen wir nicht. Zunächst müsste es die passenden Standorte geben und diese bezahlbar sein.
DHB: Sind die leerstehenden Kaufhäuser interessante Standorte, gibt es andere Ideen und Projekte? Benke: Bei Kaufhäusern kommt es auf die Lage und Ausstattung an. Ist es ein historisches Kaufhaus von 1905 direkt in der Mitte der City oder der Betonbau von 1960 am Rand der Einkaufsstraße? Letztere haben oft eine rückwärtige Erschließung für LKW, Lastenaufzüge, ausreichende Deckentraglast, Entlüftung und Starkstromanschlüsse. Da könnte man überlegen, ob man hier nicht ein gemischtes Konzept von Ladenhandwerk, Manufakturen und Schauwerkstätten oder neuer "Urbaner Produktion" unterbringen kann. Es gibt schöne Beispiele, wo ehemalige Kaufhäuser temporär zur Präsentation der beruflichen Bildung genutzt werden, damit Handwerk in der Innenstadt an Sichtbarkeit gewinnt. Das Bekannteste ist der "Makerspace" der Handwerkskammer Rheinhessen im ehemaligen Karstadt-Gebäude in Mainz, der sich inzwischen in der Innenstadt von Alzey befindet.
Der Knackpunkt ist aber immer der Preis. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Innenstadtthematik. So gut wie kein Handwerk kann Quadratmeterpreise zahlen wie Einzelhandelsfilialisten. Immobilienbesitzer sollten deshalb darüber nachdenken, in einer Mischkalkulation auch Flächen fürs Handwerk anzubieten. Das Besondere am Handwerk ist ja, dass es seine Standorte überall haben muss. Auf dem Land, an den Stadträndern genauso wie in bestehenden innenstädtischen Bereichen und in den neu entstehenden, verdichteten Vierteln um die Innenstädte herum. In Hamburg zum Beispiel entsteht gerade ein neues Stadtviertel - Oberbillwerder - in dem auch Handwerkerhöfe integriert werden sollen. Hier wird Wohnen und Arbeiten gut zusammengedacht. Negative Beispiele von reinen Wohngebieten, die gerade entstehen, gibt es leider auch.
Innenstadt macht nur Sinn, wenn die Vorteile der Nähe zu den Kunden und der Einsparung von langen Wegen gegenüber der Störungsfreiheit in peripheren Gewerbegebieten überwiegen. Nicht alles geht überall. Je nach Gewerk, Störungsgrad und Betriebsgröße bestehen ganz unterschiedliche Anforderungen. Für alles muss man geeignete Standorte schaffen: von der Lage in der Einkaufsstraße, der Mischung im Gebäude, im Block oder am Rande des Quartiers, in neuen innerstädtischen Handwerkerhöfen oder in gut erreichbaren Gewerbegebieten.
DHB: Wird das Handwerk ausreichend in die Stadtplanung und -entwicklung eingebunden? Benke: Der ZDH auf Bundesebene und die Kammern und Kreishandwerkerschaften vor Ort haben in den vergangenen Jahren erreicht, dass das Handwerk in den Städten endlich als eigenständiger und für die Stadtentwicklung wichtiger Akteur wahrgenommen wird und nicht als nur als ein Nachfrager für Gewerbeflächen unter vielen erscheint. Dafür sind beispielsweise die Masterpläne "Stadt und Handwerk", wie sie inzwischen in einigen Städten vereinbart wurden, sehr wichtig. Ich hoffe, dass sich das weiter ausbreitet, um das Handwerk stärker in die Stadtentwicklungspolitik zu integrieren und vorhandene Standorte zu erhalten und neue zu schaffen. Das Handwerk braucht nicht nur Fläche, es kann auch unheimlich viel bieten für die nachhaltige Stadtentwicklung.
DHB: Welche Rahmenbedingungen erwarten Sie von den Städten und vom Bund? Benke: Wichtig ist, dass die Politik bei der Entwicklung nachhaltiger Städte das Handwerk im Blick hat. Nicht auf jedem alten Hafengelände oder Güterbahnhof muss zwingend ein glitzernder Büroturm oder eine Wohnanlage entstehen. Es könnten auch bestehende Gewerbegebiete gesichert werden oder neue gemischte Bereiche entstehen. Initiativen der Städte zu neuen Handwerkerhöfen sind ausdrücklich zu unterstützen. Dazu gehört auch eine Verkehrspolitik, die das Handwerk mitdenkt. Nicht alle Betriebe werden auf Lastenräder umsatteln können, sondern brauchen ihre (E-)Transporter und Kleinfahrzeuge genauso wie Parkplätze an eigenen Standorten und für Wartungs- oder Servicearbeiten bei den Kunden. Handwerk in den Innenstädten trägt in der Bilanz dazu bei, Verkehr zu vermeiden.
Die Städtebauförderung des Bundes wiederum könnte die Sicherung und Entwicklung gewerblicher Standorte besser unterstützen. Das Emissionsschutzrecht sollte ebenfalls weiterentwickelt werden, damit Konflikte besser gelöst werden. Uns ist nicht daran gelegen, Gesundheitsstandards zu schleifen, das führt nur zu Auseinandersetzung. Wir setzen uns für stabile und langfristig sichere Standorte ein. Ein Handwerker ist kein Startup, der nur ein Laptop aufklappt. Im Standort eines Handwerkers steckt eine Menge des Betriebsvermögens und dafür braucht es langfristige Sicherheit.
Das Interview führte Kirsten Freund
Eröffnung der Meistermeile Hamburg 2019
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