Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) können Bäckereien die Bestellmenge von Backwaren besser planen. Das Unternehmen "foodforecast" (ehemals "Werksta.tt") von Justus Lauten hilft den Betrieben dabei, Retouren zu reduzieren, Lebensmittel entsorgen zu müssen und Kosten einzusparen. (Foto: © Tyler Olsen/123RF.com)

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Künstliche Intelligenz hilft Retouren in Bäckereien zu reduzieren

Tagtäglich müssen Backwaren entsorgt werden. Das Programm "foodforecast" von Justus Lauten sagt mithilfe eines KI-Verfahrens voraus, wie viel die Bäckereien produzieren sollten.

Viele Brote, Brötchen und Kuchen finden über Tag keinen Käufer. Am Abend kehren sie als Retouren in die Backstuben zurück. "Die Quote liegt bei 15 Prozent. Dies entspricht einem Warenwert von mehr als 60.000 Euro pro Jahr und Filiale", sagt Justus Lauten. Der Informatiker will Bäckereien dabei helfen, weniger Lebensmittelabfall zu produzieren. Gleichzeitig möchte er ihre komplexen Planungsprozesse verbessern und für Kosteneinsparungen sorgen. Sein Start-up "Werksta.tt", dass sich inzwischen in "foodforecast" umfirmiert hat, setzt dabei auf Künstliche Intelligenz (KI). 

So funktioniert die KI

Der Absolvent der RWTH Aachen hat einen Algorithmus geschrieben. Sein Programm vergleicht Daten aus der Vergangenheit miteinander. Es lernt, daraus Muster zu erkennen und Prognosen abzuleiten. Relevante Daten der Bäckereien befinden sich im elektronischen Warenwirtschaftssystem. Die KI wird daran angedockt. "Sie zieht sich die Verkaufszahlen der zurückliegenden Tage, Monate und Jahre, kombiniert sie mit den in unserer Datenbank hinterlegten Wetterdaten und lernt daraus", beschreibt Justus Lauten das Verfahren des Maschinellen Lernens

"Predictive Intelligence"-Software Wenn Serverräume überhitzen, droht der Verlust wichtiger Daten. Wie Künstliche Intelligenz (KI) dazu beiträgt, schon im Vorfeld eine Störung zu erkennen, erklären wir in dem Artikel "Klimaanlagen mittels KI vorausschauend warten".

Einflussfaktoren für Prognosen

Das Wetter ist ein wichtiger Faktor. Doch auch Wochenenden, Feiertage oder Ferien machen sich bei den Verkaufszahlen der Bäckereien bemerkbar. Die KI nimmt sie in ihre Berechnungen mit auf. Events (wie etwa Karneval) oder Trends (beispielsweise eine Baustelle vor einer Filiale oder die Neueröffnung der Konkurrenz im Stadtteil) können ebenfalls berücksichtigt werden. Auch Produkte, bei denen eine Zielretour wegen vertraglicher Vorgaben unvermeidlich ist, lassen sich im System hinterlegen. Als Beispiel führt Justus Lauten die in Supermärkten eingemieteten Bäckereien an, deren Theken auch abends noch voll bestückt sein müssen.

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Darstellung der Prognosen  

Foto: © Werksta.ttFoto: © Werksta.tt

"foodforecast" liegt in der Cloud. Sie verbindet sich online mit dem Warenwirtschaftssystem. "Die IT-Dienstleister der Bäckereien oder die Hersteller der Kassensysteme müssen uns nur den Zugang ermöglichen, so dass wir die Daten auslesen können." Auf Grundlage der Daten erstellt die KI eine Prognose der zu produzierenden Backwaren für die kommenden acht Tage. Sie kann direkt ins Warenwirtschaftssystem eingespeist oder über eine App auf ein mobiles Endgerät wie ein Smartphone oder Tablet übermittelt werden. 

Genauigkeit der KI

Je mehr Daten vorliegen, desto genauer kann die KI die Bestellmenge voraussagen. Eine solide Basis liefern die konstant übers ganze Jahr verkauften Backwaren. "20 Produkte werden fast täglich hergestellt. Sie machen 60 Prozent des Umsatzes einer Bäckerei aus", weiß Justus Lauten aus den Gesprächen mit Kunden. Die Prognose der KI weiche insgesamt um fünf Prozent nach oben und unten vom Durchschnittswert ab.

Grenzen der Vorhersage

An seine Grenzen stößt das Programm, wenn die Datenlage zu dünn ist. "Bei einer Fußball-WM, die nur alle vier Jahre stattfindet, muss der Backstubenleiter entscheiden, wie viele Weltmeisterbrötchen produziert werden." Dies gelte auch für eine Pandemie, die mit ständig wechselnden Einschränkungen für die Öffnung der Geschäfte und Cafés verbunden ist.  

KI beschleunigt Prozesse

Justus Lauten Foto: © Werksta.ttJustus Lauten Foto: © Werksta.tt

Die Prognose der KI kann Prozesse beschleunigen. "Die Bestellungen einer Filiale händisch einzutragen, dauert zwischen 20 und 40 Minuten." Vier bis fünf Minuten taxiert Justus Lauten, um die von der KI vorgeschlagene Bestellmenge zu überprüfen und zu bestätigen. "Eine erhebliche Arbeitserleichterung und Zeiteinsparung", fasst der 33-Jährige knapp zusammen. Das letzte Wort habe jedoch immer der Mensch, der die KI "überstimmen" und die Bestellmenge ändern könne. 

Zielgruppe der KI

"foodforecast" richtet sich vor allem an Bäckereien mit mehreren Filialen. "Die KI analysiert für jeden Standort das Kaufverhalten und prognostiziert die jeweilige Menge der Bestellungen", erklärt Justus Lauten. Drei große Bäckereiketten mit rund 200 Filialen – darunter die Merzenich-Bäckereien GmbH und die Soonwald-Bäckerei Grünewald GmbH – sind bereits seit Ende 2020 an die KI angeschlossen.

"Der Einsatz der KI hat ihre Erwartungen mehr als erfüllt." Weitere Kunden stehen bereits in der Warteschlange. Vor allem der Auftritt in der Gründer-Show "Die Höhle der Löwen" habe dem Start-up viel Aufmerksamkeit verschafft.

Kosten des Programms

Justus Lauten sucht bereits neue Anwendungsfälle. Denn nicht nur Bäckereien verkaufen Lebensmittel mit geringer Haltbarkeit. Aus dem Handwerk kämen aus seiner Sicht etwa Konditoreien oder Fleischereien in Frage. "Ob sich der Einsatz der KI lohnt, können wir mittels einer kostenlose Potenzialanalyse klären." Dazu müssten ihm die Betriebe lediglich die historischen Daten bereitstellen.

Ergibt die Auswertung, dass Potenzial vorhanden ist, kann man "Werksta.tt" einen Monat lang kostenlos testen. Das kostenpflichtige Modell ist erfolgsbasiert. Die Spannbreite liegt zwischen 55 und 150 Euro pro Monat und pro Filiale. Für Justus Lauten ein faires Angebot. "Die Nutzung der KI muss sich für uns und für die Betriebe lohnen."

Einschätzung des ZV

"Die Bäckereien sind seit jeher darauf bedacht sind, möglichst wenige Backwaren wegzuschmeißen. Denn alles, was in die Tonne kommt, bedeutet einen Verlust für den Bäcker", erklärt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks (ZV). Es gebe bereits viele Möglichkeiten, die nicht verkauften Backwaren weiter zu verwenden. Sie könnten beispielsweise an die Tafeln gespendet, als Brot vom Vortag günstiger verkauft oder als Tierfutter oder zur Energiegewinnung genutzt werden.

In zahlreichen Bäckereien kämen auch spezielle digitale Lösungen wie etwa eine Retourenmanagement-Software zum Einsatz. Zudem seien kürzlich die Leitsätze für Brot und Kleingebäck so angepasst worden, dass es nunmehr möglich sei, bis zu 20 Prozent des bereits gebackenen Brotes für neuen Teig zu verwenden. "Das ist eine sehr alte und traditionelle Methode zur Steigerung der Qualität von Backwaren."

Begrifflichkeiten beachten

Die von Justus Lauten genannte Retourenquote von 15 Prozent sei ein realistischer Wert. Die Spanne, was davon letztlich nicht mehr als Lebensmittel genutzt werden könne, sei jedoch sehr groß. Entsprechend mahnt der ZV dazu, genau auf die Begrifflichkeiten zu achten. "Retoure bedeutet nicht, dass ein Brot nicht mehr als Lebensmittel verwendet wird." Der Geldwert der Retouren lasse sich nicht genau ermitteln. Er hänge vom Umsatz und von der Retourenquote des jeweiligen Betriebs ab.    

Sehr gute Geschäftsidee 

Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks bezeichnet die Geschäftsidee der "Werksta.tt" (inzwischen "foodforecast") als "sehr gut". Sie biete sicherlich viele Möglichkeiten, sowohl die Retouren in einer Bäckerei zu optimieren als auch Ressourcen zu sparen. Es gebe jedoch auch andere Anbieter, die ihre Software erfolgreich im Bäckerhandwerk einsetzen. "Die Erfahrungen zeigen, dass sich eine solche Software bzw. KI durchaus lohnen kann."

Fallbeispiele Rund ums Handwerk gibt es bereits einige Anwendungsfälle, in denen Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. In unseren Artikeln erfahren Sie, wie KI-Module die Hersteller und Besitzer von Landmaschinen unterstützen, wie ein Chatbot neue Mitglieder für die Handwerksorganisationen wirbt und wie KI den Mitarbeitern eines Online-Fachhändlers monotone Tätigkeiten abnimmt.   

Text: / handwerksblatt.de

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