Lernen mit AR und VR verspricht ein intensiveres Lernerlebnis für Auszubildenden und Fachkräfte. Das Start-up craftguide bietet solche Inhalte speziell für das Handwerk an.

Lernen mit AR und VR verspricht ein intensiveres Lernerlebnis für Auszubildenden und Fachkräfte. Das Start-up craftguide bietet solche Inhalte speziell für das Handwerk an. (Foto: © craftguide)

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Intensives Lernerlebnis für Handwerker mit Augmented und Virtual Reality

"Lernen hat auch etwas mit Erleben zu tun", sagt Johannes Nies. Sein Start-up "craftguide" produziert Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die auch in AR und VR abgespielt werden können. Die HWK Trier gehört zu den Kunden.

Mittendrin statt nur dabei. Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) ermöglichen ein intensives Lernerlebnis. "VR ist eine künstliche, abgeschlossene Welt, in die man eintaucht. AR verbindet die virtuelle mit der realen Welt", unterscheidet Johannes Nies die beiden Technologien. Zusammen mit Theo Strauß hat er im Jahr 2018 "craftguide" gegründet. Das Start-up aus München produziert Videos speziell für das Handwerk, die sich zweidimensional auf einem flachen Bildschirm oder dreidimensional in einer VR-Brille oder auf einer AR-Brille darstellen lassen.

Produktion der Inhalte

Schritt-für-Schritt-Kurse von craftguide Foto: © craftguideSchritt-für-Schritt-Kurse von craftguide Foto: © craftguide

Die Arbeitsabläufe werden aus der Perspektive eines Anwenders aufgenommen. "Diesen Part übernimmt ein Experte, dem die Betrachter der Videos später auf die Hände schauen. Dies ist in der Regel ein Ausbilder, könnte aber auch ein erfahrener Geselle sein", nennt Johannes Nies zwei Beispiele für die Produktion von Ausbildungsinhalten.

Ein ausgearbeitetes Drehbuch ist nicht zwingend nötig. Als Service bietet craftguide jedoch an, ein passendes Skript zu erstellen. "Wir haben Didaktik-Experten in unserem Team."

Verwandlung in Schritt-für-Schritt-Kurse

Beim Dreh können unterschiedliche Geräte zum Einsatz kommen, wie etwa eine Kamera, die auf der Stirn befestigt werden kann, oder ein Smartphone. Die aufgezeichneten Filmsequenzen verwandelt craftguide in einen Schritt-für-Schritt-Kurs.

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Die Erklärungen zu den einzelnen Arbeitsschritten werden als Text am Bildschirmrand eingeblendet, aber auch vertont. "Wir nutzen dazu eine synthetische Stimme, damit keine Urheberrechte verletzt werden", erklärt Johannes Nies.

Die Textspur könne in bis zu 42 Sprachen übersetzt werden. Vor allem Bildungseinrichtungen seien sehr daran interessiert. "Kursteilnehmer, welche die deutsche Sprache noch nicht sicher beherrschen, können kurz zu ihrer Muttersprache wechseln. Das fördert den Lernfortschritt."

Unsichtbares mit 3D sichtbar machen

Viele technische Prozesse bleiben dem Auge verborgen, sollten in der Ausbildung oder im Verkauf von Produkten aber nachvollziehbar sein. "Um Unsichtbares sichtbar zu machen, ist ein Upgrade auf 3D möglich", bietet der Geschäftsführer des Münchener Start-ups an.

Dazu erstellt das Team von craftguide aus allen Szenen des Videos ein 3D-Modell. Der Blick ins Innere eines Rohrleitungssystems oder einer komplexen Anlage wird als Animation in die Schritt-für-Schritt-Sequenz eingebettet. Über eine Brille können die Inhalte in Virtual Reality oder Augmented Reality dargestellt werden. 

Nutzer der Inhalte

Zu den Kunden von craftguide gehören einerseits Hersteller aus der SHK- sowie der Land- und Baumaschinen-Branche. Sie setzen die Kurse etwa ein, um ihre eigenen Mitarbeiter oder externe Partner wie installierende Fachbetriebe zu schulen. Andererseits arbeitet man mit Fachverbänden, Handwerkskammern und Innungen zusammen.

So wurden für die Lehrgänge der überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) der SHK-Innung München bereits 40 Kurse produziert, von denen jedes Jahr rund 1.000 Auszubildende zum SHK-Anlagenmechaniker und Spengler profitieren. Die Handwerkskammer Trier stellt Videosequenzen für die Teilnehmer der ÜLU und der Meisterkurse zusammen, die craftguide produziert. Mit dem Bundesverband Landbautechnik besteht eine Kooperation im Rahmen der Nachwuchskampagne "Starke Typen".

Kooperationspartner HWK Trier

Die Teilnehmer der ÜLU-Lehrgänge oder Meisterkurse können über die craftguide-App auf alle von der der HWK Trier produzierten Inhalte zugreifen. Foto: © craftguideDie Teilnehmer der ÜLU-Lehrgänge oder Meisterkurse können über die craftguide-App auf alle von der der HWK Trier produzierten Inhalte zugreifen. Foto: © craftguide

Die Handwerkskammer Trier arbeitet seit Anfang Februar mit craftguide zusammen. "Wir wollen digitale Medien verstärkt in die Aus-, Fort- und Weiterbildung einbauen", erklärt Tischlermeister Christian Posselt, dessen Stelle über das Projekt "Digitale Lehr- und Bildungsformate im Handwerk" finanziert wird. Die Mittel stammen aus dem europäischen Förderprogramm REACT-EU.

Mit den Schritt-für-Schritt-Videoclips sollen die Ausbildungsmeister und Dozenten unterstützt werden. "Jeder Teilnehmer der ÜLU oder der Meisterkurse kann sich die Tutorials so oft wie er will anschauen und damit in seinem eigenen Tempo lernen." Das inhaltliche Spektrum der Video-Kurse reicht vom Grundlagenwissen bis hin zu komplexen Sachverhalten. 

Produktion eines Schritt-für-Schritt-Kurses

Die einzelnen Arbeitsschritte werden aus der Anwenderperspektive mit der Stirnkamera "GoPro" gefilmt. Jede Sequenz dauert zwischen zehn und 30 Sekunden. Ein komplettes Video besteht aus 15 bis 20 Sequenzen. Die Erklärungen zu den einzelnen Arbeitsschritten hält Christian Posselt schriftlich in einer Excel-Tabelle fest. Die Filmsequenzen und den Text schickt der Projektmitarbeiter nach München.

Die craftguide-Mitarbeiter bereitet das gesamte Material auf. Die Sequenzen werden zu einem Schritt-für-Schritt-Video zusammengefügt. Die Erklärungen erscheinen als Text im Film. Sie werden aber auch mit einer synthetischen Stimme vertont. "Unsere Video-Kurse sind in Windeseile fertig, und sie liegen in höchster Qualität vor. Genau so haben wir uns das gewünscht", lobt Christian Posselt die Zusammenarbeit.

Ein weiteres Plus: Die Filme könnten bereits in Augmented Reality gezeigt werden. Das kommt der Handwerkskammer Trier entgegen. In der Aus- und Weiterbildung soll künftig auch vermehrt in einer AR- und VR-Umgebung gelernt werden. 

Videos für ÜLU-Lehrgänge

Schritt-für-Schritt-Anleitung Herstellung eines Schifterschnitts und Anreißen der Zinkenverbindung für die ÜLU der Tischler Foto: © craftguideSchritt-für-Schritt-Anleitung Herstellung eines Schifterschnitts und Anreißen der Zinkenverbindung für die ÜLU der Tischler Foto: © craftguide

Seine Kollegen in den Bildungsstätten der Handwerkskammer Trier sind sehr an der Produktion von Videoinhalten interessiert. "Zurzeit bin ich viel in den Lehrwerkstätten und auf dem neuen Campus Handwerk unterwegs", sagt Christian Posselt. Für die Lehrgänge der ÜLU hat er bereits vier Schritt-für-Schritt-Kurse produziert, darunter eine Anleitung für angehende Tischler, wie der Schifterschnitt auch ohne Computer und CAD-Programm gelingt. Weitere Videos sind bereits in Vorbereitung. "Die Ausbildungsmeister der Metallbauer würden den Auszubildenden gerne zeigen, wie sie mit einer Anreißplatte arbeiten."

Für die Produktion der Tutorials stehen zwei Technikkoffer zur Verfügung. "Sie enthalten jeweils eine Stirnkamera, ein Stativ und eine VR-Brille", sagt Christian Posselt. Da das Förderprojekt zum 31. Dezember ausläuft, leitet er die Ausbildungsmeister bereits an, die Videoinhalte selbst zu erstellen. 

Enzyklopädie des Handwerks

Johannes Nies freut sich sehr über die Kooperation mit der Handwerkskammer Trier. Weitere Partner seien willkommen. "Unser Ziel ist es, eine Enzyklopädie des Handwerks zu erstellen." Je mehr Bildungsinstitutionen sich anschließen, desto mehr Auszubildende und Fachkräfte der verschiedenen Gewerke könnten vom Angebot des Start-ups profitieren.

Spektrum der Inhalte

Johannes Nies, Gründer von craftguide Foto: © craftguideJohannes Nies, Gründer von craftguide Foto: © craftguide

Alle Inhalte sind auf der Plattform von craftguide abgelegt. Das Angebot umfasst zurzeit rund 400 Schritt-für-Schritt-Kurse. Das Spektrum der Inhalte ist groß. Die Kurse vermitteln Grundlagenwissen für Auszubildende. Sie richten sich jedoch auch an ausgebildete Fachkräfte, die neueste Technologien wie Wärmepumpen oder Smart-Home-Anwendungen installieren und instand halten. "Mit unserer Plattform fördern wir den Austausch zwischen den Institutionen der beruflichen Bildung, den Herstellern der Produkte und dem professionellem Handwerk", sagt Johannes Nies. Die Hersteller und Bildungseinrichtungen legen selbst fest, wer darauf zugreifen darf.

Alle gängigen Geräte und Betriebssysteme

Für craftguide ist es wichtig, dass die Schritt-für-Schritt-Kurse auf allen gängigen Geräten und Betriebssystemen abgespielt werden können – ausgehend vom Internetbrowser über die App auf dem Smartphone oder Tablet bis hin zu den am stärksten nachgefragten Modellen von AR- oder VR-Brillen.

Die Inhalte sollen stets verfügbar sein. Auszubildende, Ausbildungsbetriebe, ÜLU und Berufsschulen erhalten einen Zugang etwa über die craftguide-App. "Sie bietet beispielsweise die Möglichkeit, Videos auch bei schlechter Netzabdeckung auf dem Feld oder bei schlechtem Empfang im Heizungskeller offline anzuschauen."

VR und AR in der beruflichen Bildung Im Themen-Special "Digitale Medien in der Berufsausbildung" auf handwerksblatt.de berichten wir in einigen Artikeln über den Einsatz von Virtual Reality und Augmented Reality in der beruflichen Bildung. Die "Berufsberatung der Arbeitsagentur setzt auf VR-Brillen und Cardboards". Handwerk hautnah erleben können "Elektroniker für Maschinen und Antriebstechnik im 360°-Film". Das Fraunhofer-Institut IGD berät Betriebe, Kammern und Verbände, "Wie AR und VR die Ausbildung bereichern können". Das Projekt "InKraFT ermöglicht Kfz-Ausbildung für Behinderte", indem es ihnen ein neues Lernerlebnis mittels VR und AR schafft. Das Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln ermöglicht kaufmännischen Azubis einen "Kopfsprung in digitale Welten" mit VR- oder Mixed-Reality-Brillen.

Intensives Lernerlebnis

Jeder Mensch lernt anders. Schulbücher sollen komplexe Sachverhalte oder mathematische Formeln leicht verständlich erklären. YouTube scheint dies besser zu gelingen. Lernvideos erfreuen sich bei Schülern und Auszubildenden wachsender Beliebtheit.

Augmented Reality und Virtual Reality könnten als Medium noch effizienter sein. "Lernen hat auch etwas mit Erleben zu tun. Je intensiver man etwas erlebt, desto größer ist der Lerneffekt", meint Johannes Nies. Inhalte prägen sich schneller ein. Selbst das haptische und mechanische Gedächtnis des Körpers werde beim Blick durch die AR- und in die VR-Brille aktiviert.

Hinzu kommt: Die Ausbilder werden durch den Einsatz von Bewegtbild erheblich entlastet. "Die Azubis können sich die Schritt-für-Schritt-Anleitungen zu jeder Zeit und so oft wie sie wollen anschauen. So kann jeder in seinem Tempo lernen."  

AR und VR noch zu wenig genutzt

Foto: © craftguideFoto: © craftguide

Bislang werden die Kurse in Augmented Reality und Virtual Reality aber noch zu wenig genutzt. "Die Hersteller setzen AR bestenfalls bei der internen Produktions- und Qualitätskontrolle ein", erklärt Johannes Nies. Die Zurückhaltung führt er in erster Linie auf den hohen Preis der Brillen zurück. Im Handwerk käme dazu, dass die Geräte nicht robust genug seien, um damit auf der Baustelle arbeiten zu können.

"VR kommt eher in der Ausbildung und in den Showrooms der Hersteller zum Einsatz", so der Geschäftsführer von craftguide. Im Gegensatz zu AR sei die Hardware für VR jedoch deutlich günstiger. Dies könnte den Einstieg ins Metaversum – das virtuelle-Welt-Projekt von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg – erleichtern. "Wir rechnen damit, dass kollaboratives Arbeiten und Lernen mit VR dadurch einen Schub erhält."

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Text: / handwerksblatt.de

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