So mancher Handwerker ist schon verzweifelt am Widerrufsrecht für Verbraucher, das bei Verträgen gilt, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden. Dieses Widerrufsrecht ist aber in manchen Fällen ausgeschlossen, zum Beispiel bei Produkten, die auf die persönlichen Wünsche des Verbrauchers zugeschnitten sind. Der Europäische Gerichtshof hat nun klar gestellt: Das gilt auch dann, wenn die Ware beim Widerruf noch gar nicht angefertigt war.
Der Fall
Eine Kundin verlangte Schadenersatz von der Firma Möbel Kraft aus Deutschland. Sie hatte auf einer Messe eine Einbauküche bestellt, mit einigen Sonderwünschen. Sie widerrief den Vertrag innerhalb der gesetzlichen 14-Tage-Frist und weigerte sich, die Küche abzunehmen. Daraufhin verklagte der Hersteller sie vor dem Amtsgericht Potsdam auf Schadensersatz .
Das Gesetz sieht ausdrücklich einen Ausschluss des Widerrufs für Waren vor, die nach besonderen Vorgaben des Kunden hergestellt werden. Das Amtsgericht Potsdam bat die EU-Richter um Auslegung für diese besondere Konstellation, dass die Produktion der Ware noch nicht begonnen hat oder Änderungen leicht rückgängig gemacht werden können.
Das Urteil
Der Stand der Produktion spiele keine Rolle, entschieden die EU-Richter, der Widerruf sei ausgeschlossen. Die Ausnahme im EU-Recht diene dem Ziel, die Rechtssicherheit zu erhöhen. Das gelte unabhängig davon, wie weit Spezialwünsche schon umgesetzt seien, zumal der Kunde den Stand der Fertigung üblicherweise nicht kenne.
Der EuGH hatte auch Zweifel, ob der auf der Messe geschlossene Vertrag überhaupt ein Fernabsatzgeschäft war. Denn ein Messestand sei durchaus als Geschäftsraum anzusehen, entschieden die EU-Richter. In diesem Fall wäre ein Widerruf ohnehin nicht möglich. Es sei unklar geblieben, wo genau auf der Messe die Kundin die Küche gekauft hatte. Diese Frage müsse das Amtsgericht Potsdam nun klären.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21. Oktober 2020, Rechtssache C-529/19
Das Recht bildet nicht den Betriebsalltag ab
Dr. Karsten Felske, Jurist und stellvertretender Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster hat schon einige Mitglieder zu diesem Problem beraten. Er merkt: "Viele Betriebe, gerade die kleineren, sind mit dem Thema deutlich überfordert. Wenn schon Gerichte die diffizilen Rechtsfragen zum Widerrufsrecht klären müssen, wie kann ich denn dann von einem Handwerker verlangen, dass er sie löst?!"
Man sehe auch am Widerrufsrecht, dass das Recht immer stärker der Akademisierung unterliege. "Die Realität der Praxis bildet sich nicht mehr im Gesetz ab!" bedauert der Experte. Der eigentliche Grund, warum das Widerrufsrecht noch gar nicht flächendeckend in den Köpfen angekommen sei, liege darin, dass weder die Unternehmer noch die Kunden damit etwas anfangen könnten.
"Der Kunde hat eigentlich nur zwei Fragen an den Handwerker: Was kostet das und wann wird das fertig?" so Felske. Aber die Handwerker müssen eine Menge Vorschriften einhalten – etwa Datenschutz, Widerrufsrecht, Bauvertragsrecht, Verpackungsgesetz – und sind genervt von der Masse der viel zu komplexen Regelungen. "Dieser ganze Aufwand schlägt sich im Preis nieder. Der Unternehmer muss die Kosten wieder reinholen", weiß der Kammerjurist. "Alle beschweren sich über die hohen Preise im Handwerk, aber denken nicht darüber nach, dass auch diese Verwaltungsleistungen eingepreist werden müssen."
Druck von unseriösen Kunden
Und darüber hinaus bietet der Widerruf auch noch ein Schlupfloch für unseriöse Auftragnehmer: "Das Widerrufsrecht wird von manchen Kunden genutzt, um bei einem Streit über Mängel Druck auszuüben. Denn im schlimmsten Fall geht bei einem Widerruf der Handwerker leer aus. Kunden, die das von ihrem Anwalt wissen, zwingen den Auftragnehmer auf diese Weise, Zugeständnisse zu machen", resümiert Felske. "Am Ende des Tages profitieren nur diejenigen Kunden von der Regelung, die nicht gerade ehrlich sind."
Der Experte kann aber helfen: "Rufen Sie Ihre Handwerkskammer an! Die Juristen beraten gerne zu individuellen Lösungen, denn es gibt keine allgemeingültige Antwort." Am besten findet man ein Geschäftsmodell, das ohne Widerrufsrecht auskommt, also Außer-Haus-Geschäfte und Fernabsatzgeschäfte vermeidet." In den Fällen, bei denen beide Seiten das Widerrufsrecht nicht kennen, rät Felske dem Betrieb immer, bei Streit nach erbrachter Leistung ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsabschluss mit der Geltendmachung von Forderungen zu warten. Denn dann ist die Widerrufsfrist abgelaufen.
Bundesgerichtshof: Kein Widerruf bei Messe-KaufWer einen Kaminofen auf einer Messe kauft, hat kein Verbraucher-Widerrufsrecht, wenn der Messestand als Verkaufsraum gestaltet ist. > Lesen Sie hier mehr!Widerrufsrecht beim Werkvertrag
Seit Juni 2014 gilt das EU-Verbraucherschutzrecht. Danach haben Privatkunden unter anderem ein 14-tägiges Widerrufsrecht bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen wurden (AGV). Beispiel für einen AGV: Der Handwerker nimmt Aufmaß vor Ort und schließt anschließend beim Kunden direkt einen mündlichen Vertrag.
In solchen Situationen müssen Betriebe Verbraucher rechtzeitig und umfassend über ihr Widerrufsrecht belehren. Ab diesem Zeitpunkt kann der Kunde 14 Tage lang den Vertrag widerrufen, ohne Angaben von Gründen.
Achtung: Falls die Belehrung über das Widerrufsrecht fehlt, falsch oder unvollständig ist, verlängert sich das Recht auf 12 Monate und 14 Tage! Beginnt der Handwerker mit seiner Arbeit auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden bereits während der 14-tägigen Frist, sollte er auf keinen Fall die Belehrung vergessen. Denn dann muss der Kunde, wenn er den Vertrag widerruft, die bereits erbrachten Leistungen bezahlen. Ohne ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht der Handwerker in solchen Fällen leer aus!
Der Widerruf hat übrigens nichts mit der Abnahme der Werkleistung zu tun und ist hiervon unabhängig. Die Abnahme hat auf das Widerrufsrecht grundsätzlich keinen Einfluss. Das heißt, der Widerruf kann trotz Abnahme und Zahlung noch erklärt werden, wenn die Belehrung fehlte und der Kunde die Frist (12 Monate und 14 Tage) eingehalten hat.
Kein Widerruf bei Notfalleinsätzen
In Einzelfällen hat der Kunde kein Widerrufsrecht, selbst wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurde. Solche Ausnahmen sind zum Beispiel "Notfalleinsätze" wie dringende Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen, zu denen der Verbraucher den Handwerker ausdrücklich angefordert hat. Das kann etwa ein Rohrbruch sein oder die Beseitigung von Sturm- oder Hagelschäden. Achtung: Die Ausnahmen gelten nicht automatisch. Vielmehr muss der Handwerker den Verbraucher darüber belehren, dass ihm hier kein Widerrufsrecht zusteht.
Fazit: Um Ärger mit Widerrufen zu vermeiden, sollten Handwerker Verträge nicht mehr vor Ort beim Privatkunden, auch nicht per Handschlag abschließen. Auch ein Vertrag per Telefon, Fax oder E-Mail ist riskant. Wer einen AGV abschließt und direkt mit der Arbeit beginnen will, sollten den Kunden neben der Widerrufsbelehrung auch einen Verzicht auf das Widerrufsrecht unterschreiben lassen.
Praxistipp
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat Musterformulare für Handwerker erstellt, unter anderem eine Widerrufsbelehrung für Verbraucher. Alle Muster, Informationen sowie einen Ratgeber zum Thema Verbraucher-Widerrufsrecht finden Sie > hier kostenlos zum Herunterladen
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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