Die Insolvenzantragspflicht gilt nun wieder uneingeschränkt, also auch für die Unternehmen, die mit Aussicht auf Erfolg staatliche Hilfe beantragt haben.

Die Insolvenzantragspflicht gilt nun wieder uneingeschränkt, also auch für die Unternehmen, die mit Aussicht auf Erfolg staatliche Hilfe beantragt haben. (Foto: © petrol/123RF.com)

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"Man kann nicht auf der Corona-Welle am Insolvenzgericht vorbeisurfen"

Die bisherige Insolvenzantragspflicht gilt wieder, die Corona-Verschnaufpause ist beendet. Was genau bedeutet das für die betroffenen Unternehmen? Eine Expertin beantwortet die wichtigsten Fragen.

Seit dem 1. Mai 2021 gelten wieder die alten Regeln für Insolvenzanträge, nachdem die Regierung den Unternehmen wegen der Corona-Pandemie in den vergangenen zwölf Monaten eine Verschnaufpause gegönnt hatte. Das Deutsche Handwerksblatt hat Rechtsanwältin Kirsten Wilczek, Spezialistin für Insolvenzrecht gefragt, was Firmen in wirtschaftlicher Schieflage jetzt beachten müssen.

DHB: Was bedeutet es, dass jetzt wieder die alten Spielregeln bei der Insolvenzantragspflicht gelten?
Wilczek: Während der Pandemie ist der Gesetzgeber auf Sicht gefahren. Er hat zunächst die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, sofern die Insolvenzreife eine Folge der Schutzmaßnahmen gegen die pandemische Ausbreitung von SARS-CoV-2 gewesen wäre. Diese nur bedingte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde gerne überlesen: Unternehmen, die etwa bereits zum 31. Dezember 2019 überschuldet oder zahlungsunfähig waren, durften nicht auf der Covid-19-Welle am Insolvenzgericht vorbeisurfen.

Auch Geschäftsführer von Unternehmen, deren in 2020 eingetretene Insolvenzreife nicht auf der Pandemie beruhte, oder bei denen keine Aussichten bestanden, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, mussten den schwarzen Zylinder aufsetzen und den Gang zum Amtsgericht antreten.

DHB: Was wurde zwischenzeitlich geändert? 
Wilczek: Immer mit Blick auf das Infektionsgeschehen und die Folgen von Lock- und Shutdowns hat der Gesetzgeber schrittweise die Insolvenzantragspflicht wieder aufleben lassen. Zum 1. Oktober 2020 setzte die Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit wieder ein, nur bei Überschuldung wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31.Dezember 2020 verlängert.

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Zuletzt galt vom 1. Januar bis 30. April 2021 eine Aussetzung bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, ausgelöst durch Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung. Diese Aussetzung betraf nur noch Unternehmen, die Überbrückungshilfen beantragt hatten und auch tatsächlich anspruchsberechtigt waren, jedoch noch auf die Auszahlung der Hilfen warteten.

Keine Ausnahmen mehr

Seit dem 1. Mai 2021 sind alle Ausnahmetatbestände weggefallen. Die Antragspflicht gilt nun wieder uneingeschränkt, also auch für diejenigen Unternehmen, die mit Aussicht auf Erfolg staatliche Hilfe beantragt haben und erwarten dürfen.

Wichtig zu wissen: Die Insolvenzantragspflicht gilt für Unternehmen mit haftungsbeschränktem Rechtsträger (GmbH, GmbH & Co. KG, Aktiengesellschaft), nicht für Einzelunternehmer!

Geschäftsführer von Unternehmen, die bisher von der Aussetzung der Antragspflicht profitiert haben, sollten auf der Stelle, sofern noch nicht geschehen, alles stehen und liegen lassen, um zu prüfen, ob sie seit dem 1. Mai 2021 schon antragspflichtig sind, oder ob die gesetzlichen Fristen zur Antragstellung erst zu laufen begonnen haben.

Drei oder Sechs Wochen Frist

Zur Erinnerung: Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gilt eine dreiwöchige Frist zur Antragstellung, im Falle der eingetretenen Überschuldung eine (jetzt gesetzlich neu in § 15 a Abs. 1 Satz 2 InsO geregelte) sechswöchige Frist. Diese Fristen dürfen nicht ausgereizt werden, wenn eine ernsthafte Aussicht auf Rettung nicht mehr besteht. Wenn der Gaul tot ist, muss man auch vor Ablauf der genannten Fristen absteigen und zu Fuß zum Insolvenzgericht gehen – am besten "rapido" laufen.

DHB: Welche Risiken gehen Geschäftsführer ein, die die Antragsfrist verstreichen lassen? 
Wilczek: Wer als Geschäftsführer oder Vorstand diese Pflicht verletzt, dem droht eine strafrechtliche Verfolgung sowie eine zivilrechtliche – und durchaus wörtlich zu nehmende – Durchgriffshaftung in das eigene Portemonnaie.

Strafverfahren droht

Die Insolvenz zu verschleppen, ist kein Kavaliersdelikt. § 15 a Abs. 4 InsO setzt einen Strafrahmen von "bis zu drei Jahren oder […] Geldstrafe". Ab einer Geldstrafe über 90 Tagessätzen ist man vorbestraft. Die Folgen einer Verurteilung sind weitreichend: Nach § 6 GmbHG kann eine Verurteilung wegen eines Insolvenzdelikts einer zukünftigen Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer im Wege stehen. Gewerbetreibenden droht der Entzug der Gewerbezulassung (§ 35 GewO).

Persönliche Haftung des Geschäftsführers

Auch die zivilrechtlichen Folgen sind weitreichend: Der Geschäftsführer haftet bei Insolvenzverschleppung für verbotswidrige Zahlungen (§ 15 b InsO). Doch damit nicht genug. Nicht selten folgt der Geschäftsführer der von ihm geführten GmbH in die Insolvenz. Unabhängig von persönlichen Sicherheiten für Firmenverbindlichkeiten (wie etwa Bürgschaft oder Grundschuld), die er privat übernommen hat, können ihn erhebliche Schadensersatzansprüche treffen. So haftet er für Zahlungen, die er nach Eintritt der Insolvenzreife aus der Firmenkasse noch geleistet hat, selbst wenn er damit "nur" fällige Gläubigerforderungen bedient hat.

Die Insolvenzordnung hat nun diese Haftungsregelungen (unter anderem aus dem GmbH-Gesetz, dort ehedem § 64 GmbHG) an sich gezogen, um den antragspflichtigen Geschäftsführern eine Orientierung zu bieten, was sie noch bezahlen dürfen und was sie nach Eintritt der Insolvenzreife zu lassen haben. Diese Regelung findet sich nun in § 15b InsO.

DHB: Was dürfen die Geschäftsführer denn bei Insolvenzreife noch bezahlen? 
Wilczek:  In aller Kürze: Grundsätzlich darf bei Insolvenzreife keine Zahlung mehr erfolgen. Aber jede Regel kennt Ausnahmen. Hier sind nun Zahlungen erlaubt, die

  • im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs,
  • innerhalb der Frist zur Antragstellung nach § 15 a InsO und
  • zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters erfolgen.

Der Gesetzgeber hat übrigens mit dieser Regelung dem Bundesgerichtshof in die Zügel gegriffen, der derartig strenge Anforderungen an die ausnahmsweise zulässigen Zahlungen gestellt hatte, dass man jedem Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife nur anraten konnte, die Zahlungen einzustellen und schnellstmöglich den Insolvenzantrag zu stellen, um im Insolvenzeröffnungsverfahren mit Hilfe eines vorläufigen Verwalters den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten.

DHB: Aber es gibt noch mehr Fälle, in denen der Geschäftsführer bei Insolvenzverschleppung haftet? 
Wilczek: Ja, es gibt auch noch die Außenhaftung gegenüber Gläubigern. Verpasst der Geschäftsführer den richtigen Zeitpunkt zur Antragstellung, droht zudem eine Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, die den Geschäftsführer unabhängig vom Insolvenzverfahren persönlich in die Haftung nehmen können. Schließt beispielsweise die Geschäftsführung nach bereits eingetretener Insolvenzreife noch Verträge ab, aus denen Zahlungspflichten der Gesellschaft folgen, und können diese Zahlungspflichten gegenüber dem Vertragspartner (sogenannter Neugläubiger) insolvenzbedingt nicht mehr erfüllt werden, entsteht dem Geschäftspartner ein finanzieller Schaden. Für diesen sogenannten Neugläubiger-Schaden haftet der Geschäftsführer persönlich mit dem eigenen Vermögen.

Damit immer noch nicht genug: Der Geschäftsführer haftet auch gegenüber den sogenannten Altgläubigern, die bereits vor Eintritt der Insolvenzreife Forde- rungen gegenüber der Gesellschaft hatten. Dies gilt dann, wenn diese Gläubiger wegen der Verspätung der Antragstellung dadurch einen Schaden erleiden, dass bis zum verschleppten Beginn des Insolvenzverfahrens neue Schulden der Gesellschaft auflaufen und daher der Anteil der Altgläubiger an der verteilbaren Insolvenzmasse geringer wird (sogenannter Quotenschaden).

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Geschäftsführer gegenüber Finanzamt und Sozialversicherungsträgern weitere Haftungstatbestände zu fürchten hat, die sehr oft bei einer Insolvenzverschleppung ebenfalls zum Tragen kommen. Da ist zum einen die Haftung wegen nicht abgeführter Steuern: Aus § 69 Abgabenordnung folgt eine unmittelbare persönliche Haftung des Geschäftsführer gegenüber dem Finanzamt wegen nicht abgeführter Unternehmenssteuern, insbesondere Lohnsteuerschulden.

Außerdem gibt es die Haftung für den Arbeitnehmeranteil am Sozialversicherungsbeitrag: Aus § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 266 a StGB folgt ein Schadensersatzanspruch der Sozialversicherungsträger gegen den Geschäftsführer wegen vorenthaltener Arbeitnehmeranteile am Sozialversicherungsbeitrag.

DHB: Welche Privilegierung gilt bei coronabedingten Krisen? 
Wilczek: Kann der Geschäftsführer lückenlos nachweisen, dass das von ihm vertretene Unternehmen vor dem 1. Mai 2021 unter die gesetzlichen Ausnahmetatbestände zur Insolvenzantragspflicht fiel, setzt die straf- und zivilrechtliche Haftung – wie ich oben sie dargelegt habe – nicht ein, wenn er jetzt rechtzeitig handelt.

Es gibt weitere Privilegien für Gläubiger, die Stundungsvereinbarungen geschlossen oder Darlehen an Corona-geschädigte Unternehmen gegeben haben. Hier sind die Insolvenzanfechtungsansprüche nach § 129 InsO ff., die der Insolvenzverwalter in einem späteren Insolvenzverfahren geltend machen möchte, eingeschränkt. 

Pleite abwenden Betriebe erhalten vom Gesetz neue Hilfestellungen, um einer Insolvenz frühzeitig vorzubeugen. Lesen Sie > hier, welche das sind.

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Text: / handwerksblatt.de