Der 57-jährige Diplom-Ingenieur begann seine Karriere 1992 bei der HWK Dortmund als Technologieberater und setzte so schon früh Akzente in Richtung Nachhaltigkeit. Sein Ziel: Den Berufsnachwuchs unmittelbar in die Diskussion miteinbeziehen.
DHB: Handwerk und Nachhaltigkeit sehen wir praktisch als Synonym – sieht das auch die Öffentlichkeit so?
Harder: Ich möchte die Frage mal so beantworten: Wirtschaftliches Wachstum und Nachhaltigkeit passen auf den ersten Blick wahrscheinlich für viele nicht zusammen. Wir beobachten, dass der Begriff Nachhaltigkeit nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf politischer Ebene immer stärker diskutiert wird. Aber er ist nicht gleich mit Handwerk verbunden, obwohl es aus meiner Sicht nichts Nachhaltigeres als das Handwerk gibt.
DHB: Liegt es daran, dass jeder etwas anderes darunter versteht?
Harder: Nachhaltigkeit wird meiner Meinung nach zu häufig auf den ökologischen Aspekt begrenzt. Es ist jedoch kein eindimensionaler Begriff, ökonomische und soziale Facetten gehören ebenso zu dem Bedeutungsspektrum. Wenn wir zukünftig mit der Politik über Nachhaltigkeit diskutieren wollen, müssen wir eine gemeinsame Sprachregelung finden und deutlich machen, was wir darunter verstehen. Hier befinden wir uns gerade im Prozess der Definition. Wir verständigen uns darüber auf Landesebene im Arbeitskreis "Nachhaltigkeit" des Westdeutschen Handwerkskammertags (WHKT), bei dem wir als HWK Dortmund die Federführung haben.
DHB: Muss eine solche Sprachregelung nicht auch für die breite Öffentlichkeit, die Gesellschaft gelten – also über die Politik hinaus?
Harder: Ganz genau. Es ist zwar wichtig, eine solche Ordnung in die politische Diskussion einzubringen – aber das gilt natürlich auch für die breite Öffentlichkeit. Denn noch ist es ja nicht die Regel, dass der Endverbraucher den Begriff Nachhaltigkeit zwingend mit dem Handwerk in Verbindung bringt.
DHB: Ein schwieriger Prozess, denn es gilt, eine allgemeingültige Definition für höchst unterschiedliche Gewerke zu verankern.
Harder: Das stimmt. Wenn wir den Tischler nehmen, der mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz arbeitet, ist es sicherlich einfacher, als zum Beispiel beim Gebäudereiniger, bei dem die Bemühungen um Nachhaltigkeit vielleicht nicht so präsent sind. Aber das Handwerk steht ja nicht nur für "Neues", sondern auch für Reparatur, Erhaltung, Sanierung. Und das alles wiederum in Kombination mit einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.
DHB: Wie weit sind die Arbeiten im WHKT-Arbeitskreis fortgeschritten? Wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen, und muss dieses dann nicht erst auf die Bundesebene?
Harder: Wir nehmen jetzt einen Schritt vorweg. Wir sind dem Netzwerk "Energieeffizienz- und Klimaschutznetzwerk der Handwerkskammern" beigetreten, als einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Hauptinitiatoren sind die Kammern Düsseldorf, Hamburg und Leipzig, die ein Umweltzentrum haben – wobei die Gründung der Umweltzentren schon vor Jahrzehnten ein Beleg für den Umgang mit dem Thema ist. Auf nordrhein-westfälischer Ebene haben wir ein Netzwerk gegründet, um alle Akteure des Handwerks an einen Tisch zu bringen, also Kreishandwerkerschaften und Fachverbände. In diesen Gremien setzen wir uns zunächst eigene Ziele. Damit meine ich etwa die Selbstverpflichtung, dass wir als Handwerksorganisation dem Begriff Nachhaltigkeit gerecht werden.
DHB: Was heißt das konkret?
Harder: Das gesetzte Ziel heißt natürlich Klimaneutralität. Wir müssen es schaffen, deutlich energieeffizienter zu werden – und das vor allem auch in der Ausbildung, in den Bildungszentren. Wir wollen und werden mit gutem Beispiel vorangehen. Zum einen, um herauszufinden, was an Optimierung möglich ist und wo gegebenenfalls noch Hürden bestehen, um dieses Wissen weiterzugeben. Zum anderen, um unseren Mitgliedsbetrieben konkret zu zeigen, dass auch wir als Organisation in der Praxis nachhaltig agieren.
DHB: In den Betrieben passiert heute schon viel.
Harder: Unbestritten! Aber es bleibt die Frage, was lässt sich optimieren? Das wird die Zukunft zeigen, und daher ist mein Grundgedanke, junge Menschen unmittelbar in diese Prozesse miteinzubeziehen. Das ist die Generation von morgen, der wir unsere Systeme übergeben. Sie soll kreativ dabei sein und sagen, in welche Richtung es gehen muss.
DHB: Wenn Sie sich Effizienzziele setzen und einen Rahmen entwickeln – soll dieser dann mit einem gewerkspezifischen Zuschnitt als Leitlinie an die Betriebe gehen?
Harder: Ja, aber unsere Aktivitäten ziehen breitere Kreise. So haben wir unsere langjährige Kooperation mit der Hochschule Bochum um den Bereich Nachhaltigkeit erweitert. Hier gibt es einen speziellen Studiengang. Der übrigens anfangs sehr belächelt wurde ...
DHB: ... womit wir wieder bei der Querschnittsproblematik wären, weil Nachhaltigkeit überall anders aufgefasst und definiert wird.
Harder: Genau. Der von der Hochschule Bochum etablierte Studiengang "Nachhaltige Entwicklung" setzt aber genau an diesem Punkt an. Die Studierenden lernen, die Komplexität der Handlungsfelder und Herausforderungen in Bereichen des nachhaltigen Wirtschaftens, Ressourceneffizienz, nachhaltige Produktionsverfahren oder Infrastruktur zu verstehen und Strategien zu deren Bewältigung zu entwickeln. Ziel unserer Zusammenarbeit ist es, Wissenstransfer ins Handwerk sicherzustellen. Das soll ganz pragmatisch im Rahmen von Bachelor- und Masterabschlussarbeiten geschehen, die in Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben erarbeitet werden. Aus der Bündelung haben wir ein Wissen, das nicht nur von Theoretikern kommt. Die Ergebnisse wiederum können wir über unsere Unternehmens- und Ausbildungsberater in die Betriebe bringen. Denkbar sind auch gemeinsame Veranstaltungen und Informationsschulungen.
DHB: Wie wollen Sie die Kurve zur Ökonomie hinbekommen? Nachhaltigkeit und Ökologie sind oft erst einmal mit Investitionen verbunden, ehe sich Ergebnisse zeigen.
Harder: Das ist ein Entwicklungsprozess. Je mehr junge Menschen mitmachen, desto mehr werden sehen, was sie persönlich, aber auch die Gesellschaft davon haben. Das Handwerk ist die tragende Säule des Mittelstands und zahlt faire Löhne. Eine duale Ausbildung im Handwerk hilft jungen Menschen, deshalb sehe ich gerade auch hier eine ökonomische Nachhaltigkeit. Zumal genau das hilft, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Nachhaltig.
DHB: Und es verbessert langfristig das Image des Handwerks in der Öffentlichkeit. Nur ist das eine Frage der Kommunikation – gerade in Zeiten der Pandemie.
Harder: Keine leichte Aufgabe. Zumindest im ersten Jahr der Pandemie war es schwer, die künftigen Auszubildenden anzusprechen und für das Handwerk zu begeistern. Doch das hat sich deutlich verändert. Wir haben große Fortschritte gemacht. Erreichen müssen wir aber vor allem auch die Eltern, die ja im Prozess der Berufswahl eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen auch sie von den Chancen im Handwerk überzeugen – und endlich wegkommen vom Image der "schmutzigen Hände". Handwerk ist nachhaltig und es ist High Tech. Das ist unsere Botschaft. Die Handwerkskampagne greift genau das auf.
DHB: Das heißt aber im Klartext, das Handwerk muss nicht nur in Sachen "Nachhaltigkeit" aktiv werden ...
Harder: ... sondern auch das Image nachhaltig aufpolieren. Das Handwerk ist nicht schlechter als irgendein akademischer Abschluss – es ist nur ein anderer, genauso erfolgversprechender Weg. Und genau das müssen wir überzeugend kommunizieren. In allen nur denkbaren Formen, auf allen verfügbaren Kanälen. Unsere Botschaften müssen dort ankommen, wo unsere Zielgruppen auf Empfang sind. Und damit meine ich natürlich ganz besonders auch die Schulen.
DHB: Wie platzieren Sie in akademischen Kreisen das Thema handwerkliche Ausbildung? Studienabbrecher verschwinden ja in der Statistik – dabei würde eine ganze Reihe von ihnen durchaus gut zum Handwerk passen.
Harder: Die Zusammenarbeit mit den Fachhochschulen und Universitäten ist sehr konstruktiv. Studienzweifler oder -abbrecher werden mit unterschiedlichsten Fragen konfrontiert, so zum Beispiel, inwiefern Studienleistungen in der dualen Ausbildung angerechnet werden können oder aber, welche Möglichkeiten es gibt, die Ausbildungsdauer zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer Dortmund mit den Fachhochschulen in Bochum und Dortmund, aber auch örtlichen Hochschulen und Universitäten, Kooperationsvereinbarungen geschlossen, die eine gezielte Studienausstiegsberatung an den jeweiligen Standorten vor Ort möglich macht. Das funktioniert sehr gut. Selbstverständlich arbeiten wir auch weiterhin verstärkt an pragmatischer Durchlässigkeit zwischen beiden Bildungssystemen. Hierbei geht es vor allem um die Frage der gegenseitigen Anerkennung bereits erlernter Inhalte. Die Entwicklung gemeinsamer Bildungsgänge, inhaltlicher Natur, aber auch eine mögliche Verzahnung der Lernorte, sind weitere interessante Ansätze, die wir beispielsweise derzeit mit der Fachhochschule Dortmund diskutieren. Das oberste Ziel ist und bleibt dabei die Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung zur gezielten Gewinnung von Fachkräften.
DHB: Wenn Sie das Handwerk heute und vor fünf Jahren, vor Corona, vergleichen, was hat sich gerade mit Blick auf den Aspekt der Nachhaltigkeit verändert?
Harder: Vor allem die Art der Kommunikation. Sie ist durch die modernen Medien offener geworden. Damit hat sich auch die Art der Informationsvermittlung geändert, weil vieles digital funktioniert. Nehmen Sie nur das Beispiel der Videokonferenzen. Die Pandemie hat gezeigt, dass es geht, auch wenn sich nicht alles hundertprozentig digitalisieren lässt. Papier ist manchmal sehr hilfreich. Aber Präsentationen lassen sich umfassender, eindringlicher gestalten, wenn sie digital sind. Wir haben im letzten Jahr über 100 Lernvideos erstellt, kleine Videospots, um Inhalte online zu vermitteln. Gleichzeitig sollen die Videos in der Zukunft als Lernstütze oder lernbegleitende Hilfe verstanden und eingesetzt werden. Das haben wir so gut hinbekommen, wie viele andere Handwerkskammern natürlich auch, dass wir jetzt mit dem WHKT im Gespräch darüber sind, wie wir diese Videos in einer Datenbank für ganz NRW zusammenführen können. Dass wir dabei die Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) als auch Handwerk.NRW miteinbeziehen, versteht sich von selbst.
DHB: Was sehen Sie als dringlichste Aufgabe?
Harder: Dass wir in Zukunft junge Menschen viel stärker einbinden. Das ist das Schöne an unserem dualen Bildungssystem: Wenn wir Dinge erkennen, die für die nächste Generation von Bedeutung sind, können wir diese Inhalte wiederum in die Bildung integrieren. So geben wir den neuen Fachkräften schon in der Ausbildung das Thema Nachhaltigkeit mit auf den Weg. Wir müssen heute das schulen, was die nächste Generation braucht, und die muss dann in der Lage sein, ihre nächste Generation anzusprechen. Das war immer eine Stärke des Handwerks: Veränderungen anstoßen, mittragen und umsetzen.
Das Interview führte Stefan Buhren.
Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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