ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer fordert von der Bildungspolitik, eine Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung auch umzusetzen.

ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer fordert von der Bildungspolitik, eine Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung auch umzusetzen. (Foto: © ZDH/Boris Trenkel)

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Handwerkspräsident Wollseifer: "An der Bildungswende hängt die Zukunftsfähigkeit unseres Landes"

Betriebsführung

Nach drei Amtsperioden als Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) tritt Hans Peter Wollseifer bei den kommenden Wahlen im Dezember nicht mehr an. Im Interview mit dem Deutschen Handwerksblatt nimmt er Stellung zur Berufsbildung, der Lage der Betriebe und zieht eine Bilanz seiner Amtszeit.

Eines der wichtigsten Anliegen von Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, ist die Bildungspolitik. Unter seiner Amtsführung sind wichtige Meilensteine gelungen, aber bei der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist es bislang nur bei Versprechungen geblieben. Der Fachkräftemangel ist ein guter Ansatz, von der Bildungspolitik auch eine gesetzliche Festschreibung einzufordern.

DHB: Ein neuer Sommer der Berufsbildung neigt sich dem Ende zu. Ist das Thema Berufsbildung in den Köpfen der Menschen verankert?
Wollseifer: >Der diesjährige Sommer der Berufsbildung ist noch nicht vorbei, daher ist es noch zu früh für ein Fazit. Im vergangenen Jahr haben wir über 800 Veranstaltungen durchgeführt, die dazu geführt haben, dass wir die Ausbildungszahlen in etwa halten konnten. Das werte ich schon als Erfolg und war der Grund, warum wir in diesem Jahr erneut einen Sommer der Berufsbildung ausgerufen haben.

DHB: Hat das Thema "Klimaschutz" nicht ziehen können, um Jugendliche verstärkt für eine Ausbildung in klimarelevanten Gewerken zu interessieren?
Wollseifer: Es ist im Moment auch hier zu früh, um ein Fazit zu ziehen. Im Moment liegen wir mit den Ausbildungszahlen bundesweit noch zurück und können zurzeit noch 32.000 jungen Menschen (Anm. der Red.: Stand Mitte August 2022) einen Ausbildungsplatz anbieten – und das in nahezu allen Handwerken, aber besonders auch in den Handwerken mit den großen Aufgaben der Zukunft: Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Energiewende, Mobilität, Versorgung der älter werdenden Gesellschaft.

DHB: Kann das Handwerk seine Karrierechancen nicht verkaufen?
Wollseifer: Die Hauptgründe sind bekannt. Auf der einen Seite haben wir durch die demografische Entwicklung inzwischen jährlich deutlich weniger Schulabgängerinnen und -abgänger. Und um diese geringere Zahl werben sehr viele Wirtschaftsbereiche. Auf der anderen Seite sehen wir die Auswirkungen des jahrzehntelangen Bildungsmantras, dass man nur mit einem abgeschlossenen Studium eine gute Berufskarriere machen und auch gesellschaftlich etwas darstellen kann. Das ist meines Erachtens ein Irrglaube, weil dieses Aufstiegsversprechen heute in vielen Bereichen nicht mehr gehalten werden kann.

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DHB: Woran machen Sie das fest?
Wollseifer: Schon seit Jahren brechen deutlich über 100.000 junge Menschen jährlich mehr oder weniger frustriert ihr Studium ab. Damit verschwenden wir Talente. Viele Studienaussteiger waren vielleicht nur auf einem falschen Weg und landen in Jobs oder Aushilfstätigkeiten, in denen sie ihre Stärken nicht ausleben können. Dabei können wir vielen dieser jungen Leute im Handwerk sehr gute Perspektiven bieten. Doch dafür müssen die auch wissen, was im Handwerk alles möglich ist – an Berufen und an Karrierefortbildungen. Dafür muss es endlich eine flächendeckende Berufsorientierung auf Augenhöhe mit der akademischen Bildung an allen allgemeinbildenden Schulen und gerade auch an Gymnasien geben, die die Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung in ihrer ganzen Breite darstellt. Und zudem so, wie sie heute ist: modern, innovativ, mit großen Potenzialen. Junge Menschen müssen alle Möglichkeiten und Perspektiven kennen, damit sie sich entsprechend entscheiden können.

DHB: Da setzt die Imagekampagne an …
Wollseifer: … mit der wir den Finger in die Wunde legen. Unsere Botschaft lautet: Hier stimmt was nicht, wenn Wissen über Können steht. Beides ist gleichrangig wichtig. Denn alle großen Zukunftsaufgaben können nur mit qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern bewältigt werden. Das muss man in den Vordergrund stellen. Ich glaube, wenn dieses Bewusstsein, diese Wertschätzung und Anerkennung wieder einkehrt, können wir mehr Lehrer, Eltern und Schüler überzeugen, dass es zukunftssicher ist, einen handwerklichen Beruf zu wählen und sich ausbilden zu lassen.

DHB: Und dann landen die jungen Menschen in der Berufsschule, in der ein gewisser finanzieller Mangel kaum einen modernen Unterricht erlaubt …
Wollseifer: … wobei "gewisser finanzieller Mangel" fast untertrieben ist. Wir müssen von der Zwei-Klassen-Bildungsgesellschaft wegkommen, die wir im Moment noch feststellen können. Wenn die Bildungspolitik von Gleichwertigkeit spricht, muss sie diese wirklich umsetzen. Wer als verantwortlicher Politiker Gleichwertigkeit will, muss ein entsprechendes Gesetz machen und dieses dann auch umsetzen! Daher fordern wir die gesetzliche Festschreibung der Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung. Damit dann auch gemäß dem gesetzlichen Auftrag die finanziellen Mittel in einer etwa gleichwertigen Höhe zur Verfügung gestellt werden. Berufsschulen gehören entsprechend ausgestattet, aber auch unsere rund 600 Berufsbildungszentren im Handwerk, in denen wir massiv in Digitalisierung, innovative Techniken und neue Energieeffizienzmaßnahmen investieren müssen. Diese Investitionen kann das Handwerk nicht allein stemmen, da sehen wir auch Bund und Länder in der Verantwortung.

DHB: Sehen Sie denn eine politische Bereitschaft, etwas zu verändern?
Wollseifer: Mittlerweile finden wir zumindest ein Ohr dafür. Wenn ich von der Notwendigkeit einer Bildungswende spreche, wird dem freundlich zugestimmt: Ja, man müsse noch mehr die berufliche Bildung in den Mittelpunkt stellen. Spreche ich dann jedoch das Gleichwertigkeitsgesetz als einen wichtigen Schritt dahinführend an, dann ist nur noch wenig Mut erkennbar und wird das nur sehr zaghaft oder gar nicht beantwortet. Aber wir müssen in diese Richtung gehen, wir brauchen mehr handwerklich qualifizierte Fachkräfte im Handwerk, sonst wird Deutschland ausgebremst, und das eben nicht nur im Handwerk, sondern in der Wirtschaft und unserer Gesellschaft insgesamt. An dieser Frage hängt die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

DHB: Lassen sich im Bildungsbereich überhaupt schnelle Lösungen finden?
Wollseifer: Nur teilweise. Wir sind im Handwerk, zum Beispiel im Energiebereich, bereit, unsere Kapazitäten hochzufahren. Das geht, indem wir ausgebildete Fachkräfte in Weiterbildungsmaßnahmen schulen, damit sie, wenn sie zum Beispiel bisher mit Brennwerttechnik gearbeitet haben, auch mit Wärmepumpen und Geothermie umgehen können. Wir sind dabei, diese Weiterbildungslehrgänge zu installieren. Wir könnten auch relativ schnell einige Tausend Mechatroniker auf den Markt bringen. Aber es ist eine irrige Annahme, dass man Mechatroniker in zehn bis zwölf Wochen ausbilden kann, so wie das zehn Industrievertreter in einem sogenannten Fachkräftebooster zu Papier gebracht haben.

DHB: Warum nicht?
Wollseifer: Weil eben eine fachlich fundierte Qualifizierung nötig ist und es nicht mal eben damit getan ist, eine Pumpe einzubauen. Die ist in ein komplexes System zu integrieren. Und vor allem auch, weil es davon ablenkt, dass wir die Anlagenteile gar nicht bekommen, die wir zur Montage dieser Anlagen benötigen. Sich diesen zwölfwöchigen Lehrgang auch noch vom Staat bezahlen zu lassen, halte ich für eine Anmaßung. Man muss realistisch bleiben und darf der Politik nichts vormachen, sondern muss wirklich sagen, wie es ist. Wenn ich eine Solaranlage aufs Dach bringe, muss ich mich in der Dachstatik, im Unfallschutz auskennen und muss wissen, wie ich die Energiegewinnung ins Hausnetz bringe. Dazu gehört eine Steuerung, von der man dann schon wissen muss, wie sie angeschlossen werden muss und, und, und. Ähnlich ist es bei der Wärmepumpe. Diese Themen sind so komplex, das können sie nicht in einer zwölfwöchigen Schulung vermitteln. Mal abgesehen von der Tatsache, dass für heutige Anlagen Lieferfristen von einem Jahr bestehen, bis sie alle Teile komplett für die Montage zusammen haben.

Zitat"Man muss bereit sein, dieses Amt mit vollem Engagement auszufüllen und in dem Wissen, dass das viel Zeit erfordert – man muss es wirklich wollen, dann macht man es wahrscheinlich auch gut!" 
Hans Peter Wollseifer, Scheidender ZDH-Präsident

DHB: Wenn heute Lehrlinge fehlen, fehlen in ein paar Jahren potenzielle Betriebsübernehmer. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Handwerk?
Wollseifer: In fünf Jahren müssen wir rund 125.000 Betriebe allein im Handwerk aus Altersgründen übergeben. Dafür braucht es junge, engagierte Übernehmerinnen und Gründer. Ob wir die in der Vielzahl haben, ist fraglich. Im vergangenen Jahr haben wir die Anzahl unserer Betriebe ungefähr gehalten. Aber wie es in diesem Jahr und den folgenden Jahren aussieht, ist sehr stark abhängig von den Perspektiven: Ob Lieferketten funktionieren und unsere Betriebe Materialien bekommen. Hinzu kommen Preissteigerungen bei Materialien und Energie, die Kunden verunsichern. Wenn sie wegen steigender Preise und Zinsen Projekte nicht mehr finanzieren können, knickt die Auftragslage ein und so mancher Betriebsinhaber wird sich fragen müssen, ob es sich noch lohnt, einen Betrieb weiterzuführen.

DHB: Sie werden Ihr Amt als ZDH-Präsident nicht mehr weiterführen. Wenn Sie Ihre drei Amtsperioden Revue passieren lassen, was waren die Highlights?
Wollseifer: Das größte Highlight ist es, diese Klientel der Handwerkerinnen und Handwerker zu vertreten, der es nicht vorrangig darum geht, Quartalsergebnisse auszuweisen, sondern die sich durch generationenweites Denken auszeichnen. Das Handwerk ist eben nicht nur eine Wirtschaftsgruppe, es ist eine Gesellschafts- und Wirtschaftsgruppe. Diese seit neun Jahren an vorderster Stelle vertreten zu dürfen, das hat mich stolz gemacht. Zu den Highlights zähle ich zudem die mehrjährige Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission um den großen Befähigungsnachweis, den Europa in einen kleinen für alle Gewerke umwandeln wollte, aber wir haben uns durchgesetzt. Beschwingt davon haben wir es auch geschafft, 12 von unseren 53 deregulierten Meisterberufen wieder zurückzugewinnen – ein Riesenerfolg. Einen weiteren Durchbruch konnten wir bei den Abschlussbezeichnungen Bachelor Professional und Master Professional erzielen. Da gab es viele Widerstände, aber wir sind standhaft geblieben und haben erreicht, dass der Meister nun auch namentlich mit dem Bachelor auf Augenhöhe gebracht ist. Wir haben gute Bildungsangebote geschaffen, zum Beispiel das BerufsAbitur, aber auch das Triale Studium, was ein gutes Angebot für junge Leute ist, die im Handwerk in größeren Betrieben Verantwortung übernehmen wollen.

DHB: Sie haben aber auch Dinge bewegt, von denen Betriebe direkt profitieren.
Wollseifer: Das stimmt und viele dieser kleinen Erfolge sind vielleicht nicht mehr allen so präsent, wie zum Beispiel die Änderung des Mängelbeseitigungsrechtes. Das lässt sich an einem Beispiel erklären. Ein Parkettleger hat in einer großen Wohnung 100 Quadratmeter Parkett verlegt und bekommt nach einiger Zeit eine Kundenreklamation. Früher bekam er von der Industrie nur das Parkett ersetzt. Heute bekommt er grundsätzlich sämtliche Tätigkeiten vom Parkettausbau, der Untergrunderneuerung, Versiegelung, Hotelübernachtungen komplett vom Produkthersteller bezahlt, vorausgesetzt, dass kein handwerklicher Fehler vorliegt. Das ist für manche Betriebe existenzrettend. Wir haben zum Beispiel auch verhindert, dass die Zahlungsfristen auf 90 Tage ausgedehnt werden, was geplant war – für  Betriebe wären im Grunde drei Monate lang die Bank der Auftraggeber gewesen. Viele solcher kleinen Beispiele machen einen sehr zufrieden, auch wenn das in der eigenen Organisation vielleicht gar nicht so wahrgenommen wird.

DHB: Was würden Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?
Wollseifer: Ich habe bewusst keine Nachfolgerin oder Nachfolger empfohlen. Schließlich ist die Wahl ein demokratischer Prozess. Aber es gibt wichtige Kriterien, um dieses Amt erfolgreich ausüben zu können: Dazu gehören natürlich die politische und unternehmerische Unabhängigkeit, die volle Unterstützung der Familie und eine gut aufgestellte Organisation im Hintergrund. Man muss bereit sein, dieses Amt mit vollem Engagement auszufüllen und in dem Wissen, dass das viel Zeit erfordert – man muss es wirklich wollen, dann macht man es wahrscheinlich auch gut!

Das Interview führte Stefan Buhren 

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Text: / handwerksblatt.de

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