Der Orgel "Klänge nicht von dieser Welt" entlocken
Seit 150 Jahren erschafft Orgelbau Fleiter die Königin der Instrumente. Heute gehen Restaurierung und Digitalisierung in diesem uralten Gewerk Hand in Hand.
Eine handwerklich gebaute Pfeifenorgel soll Jahrhunderte überdauern", das ist der Anspruch der Unternehmer Stefan Linke und Eberhard Hilse. Was es heißt, uraltes Handwerk in die Moderne zu überführen, zeigt Orgelbaumeister Linke an einem abgenutzten Spieltisch aus einer Kirche, den er in seiner Werkstatt generalüberholt. Das Stück wird auseinandergebaut, jedes Teil gereinigt und größtenteils restauriert. Beim Zusammensetzen werden die Tasten von unten elektronisch verdrahtet und dann ließe sich das Instrument auch mit Bluetooth- und WLAN-Anschlüssen kombinieren. So könnte man es mit dem Handy aus der Ferne stimmen. Aber für Linke ist diese Innovation nur relativ: "Was hält wohl länger, die Orgel, die mit Restaurierungen dreihundert Jahre alt werden kann, oder die Elektrotechnik?", fragt er lächelnd.
Orgeln haben eine Historie biblischen Ausmaßes. Sie sind seit der Antike bekannt. Die erste orgelartige Konstruktion stammt von 246 vor Christus. Ab dem neunten Jahrhundert wurden Orgeln für Kirchen hergestellt. Wolfgang Amadeus Mozart nannte die Orgel wegen ihrer Dimensionen und Klangvielfalt die "Königin der Instrumente". Der romantische Schriftsteller Honoré de Balzac schrieb über die Orgel, sie sei ein ganzes Orchester, von dem eine geschickte Hand alles verlangen, auf dem sie alles ausführen könne. Er empfand sie als "das kühnste und das herrlichste aller von menschlichem Geist erschaffenen Instrumente". Im Dezember 2017 nahm die UNESCO den Orgelbau in die Liste des immateriellen Kulturerbes auf. Seit Anfang 2020 gilt für den Orgelbau wieder die Meisterpflicht. Die einzige Meisterschule in Deutschland ist in Ludwigsburg. Hier findet auch die überbetriebliche Unterweisung der Lehrlinge statt.
Weit über 1.000 Orgeln seit 1872
In Münster bauten vier Generationen der Familie Fleiter – Friedrich, Ludwig, Friedrich und Friedhelm – seit 1872 rund 1.200 Orgeln. Diese stehen in der Region, in vielen Teilen Deutschlands, einige aber auch in Peru und in Moldawien. 2007 übernahm Eberhard Hilse den in der Branche weithin bekannten Handwerksbetrieb. 2016 stieg Stefan Linke als Mitgesellschafter ein. Seit der Betriebsübergabe wurden weitere 50 neue Orgeln erschaffen. Kirchenaustritte, sinkende Kirchensteuereinnahmen, weniger Priester, Kirchenschließungen und -zusammenlegungen und ein wachsender Gebrauchtorgelmarkt machen den Neubau jedoch mittlerweile selten. Bei Orgelbau Fleiter mit seinen zehn Mitarbeitern und einem Auszubildenden geht nur noch etwa ein solcher Auftrag pro Jahr ein. Das meiste sind Umbauten und Restaurierungen.
Der Bund Deutscher Orgelbaumeister zählt 140 Werkstätten als Mitglieder. Linke schätzt, dass nur noch dreißig Betriebe ein vergleichbar komplettes Portfolio anbieten wie Orgelbau Fleiter. Die Gewinnung von Fachkräften ist nicht leicht. Der Arbeitsplatz der Orgelbauer ist zum Großteil in der Kirche; oftmals müssen die Musikinstrumentenmacher reisen. Das sollte man mögen.
Einsatz modernster Technologie
Heute werden neue Orgeln mit modernster Computertechnologie innovativ entwickelt, konzipiert, gezeichnet und dann im Team fachlich qualifizierter Handwerker gebaut. "Orgelbau ist echtes Handwerk, bei dem man auch dreckig wird", betont Linke. Komplette Tischlereikenntnisse, Feinmechanik und Elektrotechnik sind ebenso gefordert wie der Umgang mit schweren Bauteilen. Die kleinste Pfeife misst 1,1 Millimeter, die größte 12,5 Meter. Jede hat ihren festen Platz im Gesamtgefüge. Dreißig Arbeitsschritte sind nötig, um eine einzige Orgelpfeife zu produzieren. Stilkunde und Kundenkontakt gehören zum Berufsbild dazu.
Er selbst sei durch Zufall – einen Wink des Schicksals – zum Handwerk gekommen, erzählt der Unternehmer. "Ich wollte einen Beruf erlernen, der mit Musik zu tun hat, und dachte zunächst an Musikalienhändler." Die Dame vom Arbeitsamt habe ihm abgeraten. Das sei eher etwas für Abbrecher eines Musikstudiums. Aber sie hatte ein Lehrstellenangebot für einen Orgelbauer in der Schublade. Linke war begeistert. "Hier baue ich etwas mit meiner Hände Arbeit, damit alles funktioniert und man Musik hört." Er bezeichnet sich heute als "mit Leib und Seele Orgelbauer". Orgelspiel verbinde er mit Musik, nicht mit der Kirche. Linke findet auch andere Stile als Kirchenmusik auf der Orgel interessant. Ihm gehe es um das Instrument – und das größte Instrument der Welt zu bauen und Klänge entlocken, die nicht von dieser Welt seien, sei erhebend.
Meister der Intonation
Linkes Lieblingsregister ist das "Prinzipal 8". Er ist ein Meister der Intonation, was je nach Orgel bis zu vier Wochen dauert. "Danach möchte man aber erst einmal gar nichts mehr hören, keine Töne, keine Musik." Stille. Das 150. Jubiläum feierte Orgelbau Fleiter mit einem Festakt im Billerbecker Dom mit Bischof Dr. Felix Genn und einer Konzertreihe.
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Text:
Vera von Dietlein /
handwerksblatt.de
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