Wieder einen Kunden angelächelt: Die Fachverkäuferinnen mussten dokumentieren, dass sie freundlich sind.

Wieder einen Kunden angelächelt: Die Fachverkäuferinnen einer großen Bäckereikette mussten dokumentieren, dass sie freundlich sind. Eine Studie zeigt, dass das eher kontraproduktiv ist. (Foto: © ikonoklast/123RF.com)

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Effizienzgewinn durch Bürokratieabbau: Weniger Kontrolle, mehr Umsatz

Bürokratie schafft nicht nur der Staat. Oft sind es die Betriebe selbst, die ihre Teams mit zu vielen Dokumentationspflichten belasten. Wer das reduziert, generiert mehr Umsatz und hält die Mitarbeiter, das zeigt eine aktuelle Studie.

In einer handwerklichen Bäckereikette mit über 1.350 Beschäftigten mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verkauf bis vor einigen Monaten täglich dokumentieren, wie oft sie die Kunden anlächeln, Augenkontakt halten, sich Verabschieden und die Theke reinigen. Daneben führen die Verkäuferinnen und Verkäufer das im Bäckerhandwerk übliche Tagesprotokoll zur Dokumentation von Informationen wie Kassenbestand, ausverkauften Artikeln, Bestellungen, IT-Problemen oder besonderen Vorkommnissen. Es dient der Kommunikation zwischen den Schichten.

Das reicht dem Unternehmen noch nicht. Es gibt viele weitere Checklisten und Dokumentationspflichten für die Beschäftigten. Beispielsweise müssen sie festhalten, wie knusprig die Brötchen sind, wenn sie auf dem Ofen kommen. Jeder Mitarbeiter investiert nach eigenen Angaben pro Woche durchschnittlich mehr als fünf Stunden für die Dokumentation. Und nicht wie sonst im Bäckerhandwerk üblich 12,5 Stunden pro Betrieb - was auch schon überdurchschnittlich viel ist, weil es in der Branche ohnehin zahlreiche Dokumentations- und Informationspflichten (Gefährdungsbeurteilung, Lebensmittelrecht, Bon-Ausgabe, Arbeitszeit etc.) und bauliche Anforderungen gibt.  

Was passiert, wenn Dokumentationspflichten wegfallen?

In der Bäckereikette hat ein Team aus Wissenschaftlern analysiert, was passiert, wenn Dokumentationspflichten wegfallen. Die Studie des Teams um Matthias Heinz, Sprecher des Exzellenzclusters ECONtribute an der Universität Köln, gemeinsam mit Forschenden der Universitäten Frankfurt, Konstanz, München und Santa Barbara kam zu dem Ergebnis: "Wer Mitarbeitende zu stark kontrolliert, schadet dem Unternehmen." 

Während der Studie hat die Bäckerei in der Hälfte der 145 Filialen zwei Checklisten für die Mitarbeitenden abgeschafft, die als besonders zeitaufwendig und wenig hilfreich empfunden wurden: Diejenige, auf der sie ihr Verhalten festhalten mussten ("operative Liste"), sowie das Tagesprotokoll. Mit messbarem Erfolg.

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Im Vergleich zu den Filialen mit sämtlichen Dokumentationspflichten ist der Umsatz in den Läden ohne die Checklisten im Schnitt um 2,7 Prozent gestiegen. Allerdings schwankte der Effekt je nach Standort: In den Filialen, für die die Regionalmanager prognostiziert hatten, dass die Teams gut ohne Checkliste zurechtkommen, stieg der Umsatz im Schnitt um mehr als fünf Prozent. In den Filialen, bei denen die Manager skeptisch waren, gab es keinen Effekt.

Die Qualität blieb trotz der wegfallenden Listen hoch

Anonyme Testkäuferinnen und -käufer bewerteten das Einkaufserlebnis ähnlich gut. Dort, wo die Checklisten abgeschafft wurden, sank die Fluktuation ausgebildeter Arbeitskräfte (häufig Führungskräfte) im Vergleich zu den anderen Filialen im Schnitt um 35 Prozent. Denn, so die Studie, vor allem höher qualifizierte Mitarbeitende haben sich durch die Dokumentationspflichten gegängelt, überwacht und wenig ernstgenommen gefühlt. Ungelernte Arbeitskräfte hätten die Kontrolle eher als hilfreich empfunden.

Ausschlaggebend für die positiven Effekte war laut Teambefragungen nicht die Zeitersparnis, sondern die spürbare Wertschätzung. Die Beschäftigten fühlten sich ernst genommen, waren motivierter und engagierten sich stärker für das Unternehmen. Matthias Heinz: "Bürokratieabbau kann Firmen in Zeiten des Fachkräftemangels helfen, gutes Personal zu halten."  

Nach Abschluss des Experiments hat sich die Bäckereikette zu einem Kompromiss entschieden: Sie behielt das Tagesprotokoll bei und schaffte die andere Liste zum Verhalten im Kundenkontakt, also die operative Liste, dauerhaft ab. 

Fazit der Studie: Viele Checklisten können schaden

Die Balance finden:

Firmen und Institutionen müssen die richtige Balance zwischen notwendiger Kontrolle und Vertrauen in ihre Mitarbeitenden finden. Dokumentationspflichten sollten individuell geprüft und Kosten und Nutzen abgewogen werden: Lohnen sie sich wirklich, um das gewünschte Ergebnis (zum Beispiel mehr Umsatz, geringere Fluktuation, höhere Kundenzufriedenheit) zu erreichen? 

Differenzierung statt pauschaler Lösungen:

Entscheidend ist, wo und für wen man Bürokratie abbaut. Checklisten sind nicht per se schlecht, aber nicht für alle Teams und Arbeitsschritte sinnvoll. Bürokratische Routinen sollten regelmäßig evaluiert werden.

Mehr Vertrauen:

Führungsetagen sollten dem mittleren Management mehr vertrauen und ihm mehr Entscheidungsfreiheit einräumen. Sie kennen ihre Teams meist am besten und können in der Praxis gut einschätzen, wo welche Maßnahmen wirken.

Routinen hinterfragen:

Statt neue Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung einzuführen, kann es kosteneffizienter und profitabler sein, Routinen zu hinterfragen und alte Strukturen abzuschaffen.   

Quelle: ECONtribute 

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Text: / handwerksblatt.de

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