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Das Arbeitsschutzgesetz verlangt, dass auch die Risiken einer psychischen Belastung des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz in einer Gefährdungsbeurteilung regelmäßig ermittelt, beurteilt und dokumentiert werden. (Foto: © racorn/123RF.com)
Vorlesen:
Juni 2013
Das Arbeitsschutzgesetz verlangt, dass auch die Risiken einer psychischen Belastung des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz in einer Gefährdungsbeurteilung regelmäßig ermittelt, beurteilt und dokumentiert werden. Wie die Gefährdungsbeurteilung konkret umgesetzt werden soll, hat der Gesetzgeber weitgehend offen gelassen.
53.000.000. So viele Krankheitstage waren im vergangenen Jahr auf "psychische Störungen" zurückzuführen. Veröffentlicht wurde diese Zahl im gerade erschienenen "Stressreport 2012" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Auch eine aktuelle Auswertung der Daten von berufstätigen TK-Versicherten aus den Jahren 2007 bis 2011 zeigt: Arbeitnehmer kämpfen immer mehr mit psychischen Problemen. Nicht nur die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen, sondern auch die Zahl der Klinikaufenthalte wegen Depressionen und die Menge der verordneten Antidepressiva haben sich binnen dieser fünf Jahre deutlich erhöht. In allen drei Fällen um rund 50 Prozent.
Nicht immer muss es dabei bis zum Burn-out gehen. Sich oft müde und erschöpft fühlen, nervös oder reizbar sein, von Niedergeschlagenheit geplagt werden – diese Erfahrungen macht eine Mehrheit der deutschen Erwerbstätigen. Zeit- und Termindruck, enorme Arbeitsverdichtung, ständige Erreichbarkeit, aber auch Monotonie und fremdbestimmte Arbeitsabläufe sind die häufig genannten Symptome dafür.
Dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz gerade in der modernen Arbeitswelt ein ernst zu nehmendes Thema sind, ist im Prinzip nicht neu – und hat darum auch seit langem (1996) schon Eingang in die gesetzliche Regelung des Arbeitsschutzes gefunden. Psychische Belastungen müssen nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden (§ 5 ArbSchG). Die Gefährdungsbeurteilungen erfassen und beschreiben aber nicht individuelle psychische oder gar psychopathologische Befindlichkeiten von Arbeitnehmern, sondern Belastungen, die von Arbeitsprozessen und Arbeitsumgebungen ausgehen. Werden also Arbeitnehmer im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung nach psychischen Belastungen gefragt, so beschreiben sie die Situation an ihrem Arbeitsplatz und nicht ihre persönliche psychomentale Befindlichkeit.
Ziel der Gefährdungsbeurteilung ist es, die Arbeitsbedingungen dauerhaft menschengerecht zu gestalten. Das heißt:
- Die Arbeitsgestaltung muss die körperlichen und psychischen Bedingungen des Menschen berücksichtigen,
- die Arbeit muss durchführbar sein, darf nicht schädigen und soll die Entwicklung des Beschäftigten fördern,
- sie muss auf Dauer ein ausgewogenes Maß an Beanspruchungen enthalten und
- die Arbeitsaufgaben sollen Kontrollmöglichkeiten bieten, vielfältig sein und Kooperation und Entwicklungschancen beinhalten.
Diese Auflistung zeigt, dass es bei der Erfassung und Beurteilung psychischer Belastungen darum geht, vor allem betriebliche Faktoren wie die zeitliche Organisation der Arbeit, Arbeitsüberlastung, Über- oder Unterforderung des Arbeitnehmers bei seiner konkreten Tätigkeit, fehlende Kommunikation, Führungsmethoden, den richtigen Einsatz der Arbeitsmittel, Betriebsklima und Kundenverhalten, aber auch Mobbing oder Einschüchterung als mögliche Belastungsfaktoren zu erkennen, zu bewerten und gegebenenfalls zu ändern.
Den Arbeitsschutz im Bereich der psychischen Belastungen voranzutreiben, ist eine besondere Aufgabe und Verpflichtung von Arbeitgebern, Betriebsräten und den Behörden des Arbeitsschutzes. Interesse an einer stärkeren Berücksichtigung psychischer Fehlbelastungen im Arbeitsschutz haben aber nicht nur Sozialpartner und der Gesetzgeber, sondern auch die Krankenkassen sowie die Berufsgenossenschaften.
Doch die Umsetzung hapert. Nur wenige Unternehmen berücksichtigen psychische Belastungen am Arbeitsplatz tatsächlich bei der Gefährdungsbeurteilung, und noch weniger haben mit Arbeitnehmervertretungen entsprechende Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Der Grund dafür ist mehr ein Nicht-Können als ein Nicht-Wollen. Zwar sind im Gegensatz zur Gefährdungsbeurteilung im technischen Arbeitsschutz Gefährdungen bei psychischer Belastung methodisch deutlich anspruchsvoller zu ermitteln. Werkzeuge dafür sind aber reichhaltig vorhanden. Die immer wieder vorgebrachte Komplexität des Themas erklärt sich oftmals nur aus fehlenden Informationen über die Instrumente des modernen Arbeitsschutzes.
Ein Beispiel: Einem Arbeitnehmer werden durch eine veränderte Führungsmethode Aufgaben übertragen, die auch zu einer veränderten Komplexität seiner Arbeit führen. Die Anforderungen steigen, eventuell nehmen Termin- und Zeitdruck zu – und sind nur durch Überstunden zu kompensieren. Die erweiterte und mit mehr Spielräumen versehene Aufgabe führt aber auch zu einer größeren Arbeitszufriedenheit.
Beides zusammen führt zu einer klar beobachtbaren Effizienzsteigerung. Durch eine detaillierte Arbeitsplatzanalyse kann nun zweifelsfrei ermittelt werden, ob diese Steigerung (nur) durch eine psychische Fehlbelastung des Arbeitnehmers erkauft wird oder als Arbeitsbereicherung zu werten ist.
Doch wenn schon die vorhandenen Instrumente zur Wahrnehmung psychischer Belastungen kaum genutzt werden, hilft es nicht, immer neue Informationsmappen zu publizieren, die zur besseren Nutzung auffordern. Information ist wichtig, aber sie schafft keine Kompetenz. Wichtiger ist, den betrieblichen Arbeitsschutzakteuren konkrete Handlungshilfen an die Hand zu geben, mit denen ein ihnen vertrautes strukturiertes Vorgehen möglich ist.
Eine dieser Handlungshilfen ist die Arbeitsplatzbeobachtung. Dabei schauen sich Experten direkt vor Ort die Situation eines bestimmten Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz an – häufig zusammen mit dem Betriebsarzt oder einem anderen betrieblichen Experten. Sie stellen fest, ob die Arbeitsbedingungen es ermöglichen, die Aufgabe gesund und sicher auszuführen. Die Techniker Krankenkasse verwendet dafür in Zusammenarbeit mit der BAuA ein von der BAuA entwickeltes Verfahren: die "Bewertung von Arbeitsbedingungen – Screening für Arbeitsplatzinhaber" (BASA).
Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit 84 Fragen und Beobachtungskriterien zu Ergonomie, Technik, Organisation und sozialem Umfeld. Eine Einzelbefragung dauert etwa 15 bis 30 Minuten pro Arbeitsplatz. Ab zehn befragten Arbeitnehmern kann der Fragebogen auch als anonyme schriftliche Befragung eingesetzt werden. Die Ergebnisse werden dem Arbeitgeber vorgestellt.
Mit dem BASA-Verfahren können auch die psychischen Arbeitsbelastungen bewertet werden. Das ist ein Vorteil gegenüber herkömmlichen Arbeitsplatzanalysen oder Gefährdungsbeurteilungen. Ein weiterer Vorteil: Es ist eine auch aus dem technischen Arbeitsschutz bekannte Vorgehensweise und löst damit bei Arbeitsschutzakteuren und beobachteten Arbeitnehmern keine Berührungsängste aus. Denn die Furcht vor einer möglichen Stigmatisierung betroffener Mitarbeiter und Verantwortlicher ist leider auch heute noch ein wichtiger Grund, sich nicht mit der Gefährdungsbeurteilung bei psychischen Belastungen zu befassen.
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