"Sachverständige haben einen ausgesprochen hohen Stellenwert"
Gudrun Schäpers, Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm, arbeitet gern mit den Sachverständigen des Handwerks zusammen. Im Interview mit dem Deutschen Handwerksblatt erzählt sie, warum.
Wenn Richter Handwerkerleistungen beurteilen müssen, brauchen sie Sachverständige des jeweiligen Gewerks für ein richtiges Urteil. Wie überall ist Nachwuchs auch hier sehr knapp. Im Interview mit dem DHB erklärt Gudrun Schäpers, Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm, wie die Justiz mit den Sachverständigen des Handwerks kooperiert und welche weiteren Pläne sie hat.
DHB: Welchen Stellenwert haben die Sachverständigen für die Arbeit der Gerichte?
Schäpers: Die Sachverständigen haben einen ausgesprochen hohen Stellenwert in der gerichtlichen Praxis. Die Anwendung des Rechts setzt voraus, dass das Gericht die dafür notwendigen Tatsachen feststellt und bewertet. Hierfür sind die Gerichte oftmals auf die besondere Sachkunde von Sachverständigen angewiesen. Daher spielen die Sachverständigen im Ergebnis auch eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung. Für eine funktionierende Rechtsprechung braucht die Justiz eine ausreichende Anzahl hochqualifizierter Sachverständiger.
Gudrun Schäpers, Präsidentin des OLG Hamm. Foto: © fotografie-golz.deDHB: Für eine gute Zusammenarbeit mit dem Gericht brauchen Sachverständige einige Fertigkeiten. Welche sind dies aus Sicht der Richterschaft?
Schäpers: Grundvoraussetzung ist, dass die Sachverständigen auf ihren Sachgebieten über weit überdurchschnittliche Fachkenntnisse verfügen. Die Richterinnen und Richter müssen hierauf vertrauen können, weil sie mangels entsprechender eigener Sachkunde die Bewertungen der Sachverständigen nur eingeschränkt überprüfen können. Darüber hinaus sollten Sachverständige in Grundzügen einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Verfahrens haben. Zentral sind hier vor allem Neutralität und Unbefangenheit. Zudem sollte ihnen bewusst sein, worauf es bei der Verfassung eines Gutachtens für das Gericht ankommt. Wichtig sind aber auch kommunikative Fähigkeiten und ein gutes Zeitmanagement. Sie müssen ihre gutachterlichen Bewertungen im schriftlichen Gutachten überzeugend darlegen und im Rahmen einer mündlichen Erörterung auch Nachfragen nachvollziehbar erläutern können. Im Hinblick auf die Dauer von Verfahren ist ein gutes Zeitmanagement schließlich sehr hilfreich.
DHB: Wie läuft die Kommunikation zwischen den Gerichten und den Sachverständigen und wie kann sie gegebenenfalls verbessert werden? Gibt es wechselseitige Vorbehalte?
Schäpers: Soweit es um den gerichtlichen Auftrag für die Erstellung eines Gutachtens und die spätere Abgabe dieses Gutachtens geht, sind verfahrensrechtlich notwendige Schritte einzuhalten. Die Kommunikation wird hier grundsätzlich schriftlich, und zwar entweder klassisch postalisch oder elektronisch ablaufen, es sei denn, das Gericht hat ein mündliches Gutachten in Auftrag gegeben. Daneben ist die direkte, etwa telefonische Kommunikation zwischen Gericht und Sachverständigen ein wichtiger Baustein zur Klärung offener Fragen. So können Sachverständige zum Beispiel das Telefongespräch suchen, wenn sie Verständnisprobleme hinsichtlich des gerichtlichen Auftrages haben oder Schwierigkeiten im Begutachtungsprozess auftreten. Der gerichtliche Alltag zeigt, dass eine gute und schnelle Kommunikation dazu beiträgt, Zeitverzögerungen, wechselseitige Missverständnisse und Fehler zu vermeiden. Nach Auffassung des in meinem Haus ansässigen Qualitätszirkels Sachverständigenwesen Nordrhein-Westfalen sollten sowohl die Gerichte als auch die Sachverständigen verstärkt miteinander kommunizieren, um unnötige Reibungsverluste zu vermeiden. Es geht insgesamt einfach darum, unter Wahrung der verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen effizient und effektiv miteinander zu kommunizieren, um eine zügige und qualitativ hochwertige Beweiserhebung zu erreichen.
DHB: Wie entwickelt sich die digitale Kommunikation zwischen Sachverständigen und Gerichten?
Schäpers: Mir ist es ein Anliegen, dass die Sachverständigen als wichtige Verfahrensbeteiligte in den elektronischen Rechtsverkehr eingebunden werden. Rechtsanwälte kommunizieren bereits seit einiger Zeit elektronisch mit den Gerichten. Eine entsprechende Verpflichtung gilt auch für Behörden und Kammern, für die dafür das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) eingerichtet wurde. Da die Justiz Ländersache ist, gestaltet sich der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs und der digitalen Aktenführung in den jeweiligen Bundesländern unterschiedlich. Bei uns in Nordrhein-Westfalen sind alle Richterinnen und Richter im Zivilbereich, seien es die der Oberlandesgerichte, der Landgerichte oder die der Amtsgerichte, flächendeckend mit der elektronischen Akte ausgestattet.
Derzeit bekommen die Sachverständigen von Gerichten, die die Verfahren elektronisch führen, die Akten entweder physisch über Speichereinheiten zugesandt oder ihnen wird ein Zugriff zum Akteneinsichtsportal gewährt. Dieser Zustand ist noch nicht befriedigend. Ziel muss es sein, dass die Gerichte mit den Sachverständigen wie mit den Rechtsanwälten zukünftig direkt sowohl aktiv als auch passiv elektronisch kommunizieren können. Das gesetzlich zum 1. Januar 2022 eingerichtete Bürger- und Organisationenpostfach (eBO), welches auch von Sachverständigen genutzt werden kann, erfüllt diese Anforderungen. Leider ist die bislang angebotene Software für dieses Postfach kostenpflichtig. Abhilfe kann hier die für das dritte Quartal 2023 angekündigte Software nach dem Onlinezugangsgesetz schaffen, die kostenlos sein soll. In NRW wird der in meinem Haus ansässige Qualitätszirkel Sachverständigenwesen die Sachverständigen breitflächig über die Möglichkeiten der hierzu angekündigten kostenlosen Software nach dem Onlinezugangsgesetz informieren, sobald diese verfügbar ist.
DHB: Auf welche Aspekte sollten die Handwerkskammern bei den Bestellungsverfahren und der Qualifizierung ihrer Sachverständigen achten, Stichwort Qualitätssicherung?
Schäpers: Die Handwerkskammern leisten durch ihre qualifizierten Bestellungsverfahren einen wertvollen Beitrag für das Sachverständigenwesen allgemein und für die Justiz speziell. Nach meinem Eindruck sorgt es dafür, dass den Gerichten gut qualifizierte Sachverständige des Handwerks zur Verfügung stehen. Aus Sicht der Justiz sehe ich daher keinen grundlegenden Verbesserungsbedarf. Im Rahmen der Qualitätssicherung ist mir bewusst, dass die Kammern ihre Aufsichtspflichten gegenüber den öffentlich bestellten Sachverständigen effektiv wahrnehmen, um etwa aufgetretenen Defiziten angemessen begegnen zu können. Die hierzu in den wenigen problematischen Fällen notwendigen Informationen können die nordrhein-westfälischen Gerichte den Kammern nunmehr nach Maßgabe des am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen § 43a JustG NRW übermitteln. Dies stärkt die Aufsichtsmöglichkeiten der Handwerkskammern, was zugleich auch im Interesse der Gerichte und der großen Zahl an zuverlässig arbeitenden Sachverständigen liegt.
DHB: Wie können die Handwerkskammern ihre Kommunikation verbessern, im Hinblick auf die Benennung und Auswahl eines Sachverständigen oder bei Problemen?
Schäpers: Der inhaltliche Austausch zwischen Gerichten und Handwerkskammern funktioniert nach meiner Wahrnehmung sehr gut. So werden Anfragen der Gerichte zur Benennung von Sachverständigen schnell und bedarfsgerecht beantwortet. Dies beruht in NRW auf einer Abstimmung, die im Qualitätszirkel Sachverständigenwesen zwischen Kammern und Justiz vorgenommen wurde. Die Gerichte in NRW haben auch die Möglichkeit, über wenige Klicks den Ansprechpartner der jeweiligen Kammer für den Sachverständigenbereich zu ermitteln, um sich zum Beispiel per Telefon nach einem geeigneten Sachverständigen zu erkundigen.
DHB: Gibt es Möglichkeiten, wie die Bestellkörperschaften den Gerichten Unterstützung bieten könnten?
Schäpers: Die Bestellkörperschaften leisten einen wichtigen Beitrag für eine funktionierende Rechtspflege, indem sie dieser hochqualifizierte Sachverständige in einer großen Anzahl vermitteln können. Die Aus- und Fortbildung der Sachverständigen ist dabei ein zentrales Thema. Da Gesellschaft und Technik einem ständigen Wandel unterzogen sind und diese Veränderungen sich auch auf den Inhalt von gerichtlichen Verfahren niederschlagen, bedeutet das, dass eine gezielte Nachwuchsgewinnung auch im Sachverständigenbereich für die Justiz wichtig ist. Als Beispiel hierfür möchte ich die Energiewende und die aktuelle Wärmepumpendiskussion anführen. Es ist nach meiner Einschätzung absehbar, dass es in Zukunft zunehmend immer wieder technische Entwicklungen geben wird, die zu Streitigkeiten in diesen Bereichen führen werden. Die Justiz wird dann vermehrt auf Sachverständige zugreifen müssen, die dieses spezifische Gebiet als Bestellungsgebiet haben.
DHB: Es gibt einen Qualitätszirkel Sachverständigenwesen in der Justiz, dort ist wohl ein Mentorenmodell angedacht. Wie kann die Justiz interessierte Sachverständige unterstützen?
Schäpers: Der Qualitätszirkel Sachverständigenwesen NRW hat eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die die Nachwuchsgewinnung und -ausbildung von Sachverständigen zum Gegenstand hat. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie die Justiz die Kammern dabei unterstützen kann, gut qualifizierte Sachverständige in ausreichender Anzahl für die Arbeit als Gerichtssachverständige zu gewinnen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wird die Projektgruppe voraussichtlich Ende des Jahres 2023 dem Qualitätszirkel vorstellen. Danach wird die Diskussions- und Umsetzungsphase beginnen.
DHB: Wie können die Gerichte mithelfen, die dringend benötigten neuen Sachverständigen zu bekommen?
Schäpers: Die Justiz ist selbstverständlich gerne bereit, an der Nachwuchsgewinnung von Sachverständigen mitzuwirken. Wir haben immer ein offenes Ohr für die Kammern und sind gern bereit bei Veranstaltungen zur Nachwuchsgewinnung zu unterstützen. Wie diese Unterstützung ganz konkret aussehen kann, erarbeitet derzeit die von mir bereits erwähnte Projektgruppe. Als Gerichtsverwaltung werden wir bei den Richterinnen und Richtern für ein entsprechendes Engagement im Rahmen der auszuarbeitenden Konzepte werben.
Die Fragen stellte Anne Kieserling
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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