Für Holger Schwannecke ist es wichtig, früh zu wissen, was in der Europapolitik passiert, um die Interessen des Handwerks während des Gesetzgebungsverfahrens zu vertreten. (Foto: © ZDH / Schuering)

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"Beim Bürokratieabbau ist noch Luft nach oben"

Gesetzgebungsvorschläge aus Europa wirken sich auf den betrieblichen Alltag aus, sagt Holger Schwannecke. Er spricht über Erfolge bei der Interessenvertretung und wichtige Themen für die Zukunft.

Die Europawahl rückt immer näher. Am 26. Mai können die deutschen Wähler an die Urnen treten und mitentscheiden, wie die Zukunft Europas gestaltet werden soll. Der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke, erklärt, warum Europa wichtig für die Betriebe ist. Er blickt zurück auf die vergangene Legislaturperiode und wagt einen Ausblick in die kommende.

Handwerksblatt: Warum ist Europa für das Handwerk so wichtig?
Schwannecke: Immer mehr Gesetzgebungsvorschläge kommen mittlerweile aus Europa. Ob bei der Unternehmenspolitik oder -finanzierung, dem Umgang mit Chemikalien, der Luftreinhaltung, dem Verbraucherrecht oder europaweit geltenden Normungsregeln: Europäische Gesetzgebung wirkt sich heute direkt auf die Betriebe aus. Deshalb ist es wichtig, dass wir frühzeitig wissen, was auf europäischer Ebene vor sich geht. Dazu haben wir in Brüssel ein entsprechend ausgestattetes Büro mit 17 Mitarbeitern. Für uns ist die ZDH-Vertretung bei der EU eine Art Frühwarnsystem oder Resonanzkörper: Wenn sich etwas auf europäischer Ebene tut, egal ob positiv oder negativ, erfahren wir dies zuerst über unser Brüsseler Büro. Wenn es dann ins Gesetzgebungsverfahren geht, organisieren wir in Brüssel Mehrheiten. Und nur wer früh dran ist, kann Europa mitgestalten.

Handwerksblatt: Wie bewerten Sie die jetzt zu Ende gehende Legislaturperiode aus Sicht des Handwerks?
Schwannecke: Kommissionspräsident Juncker hat einige richtige Prioritäten gesetzt. Weniger neue Gesetzgebungsvorschläge, Überprüfung bestehender Rechtsakte und Verbesserung der Folgenabschätzungen, um nur einige der Maßnahmen zu nennen. Auch im Energiebinnenmarkt und beim digitalen Binnenmarkt sind erste Fortschritte gemacht worden. Aber es gab auch kritische Entwicklungen. Ich denke hier beispielsweise an die überzogenen Verschärfungen bei der Entsenderichtlinie, bei den Sozialvorschriften und beim Verbraucherrecht. Das belastet unsere Unternehmen, wenn sie zum Beispiel grenzüberschreitend tätig sind, und führt zu einer Verschiebung des Gleichgewichts zulasten der Unternehmen. Zudem hat sich gezeigt, dass Europa bei den großen Fragen, zum Beispiel einer modernen Asyl- und Migrationspolitik, nicht weiterkommt. Und vergessen wir nicht die stetige Kritik der Kommission am verpflichtenden Meisterbrief.

Handwerksblatt: Was waren die größten Erfolge bei der Interessenvertretung?
Schwannecke: Unser wichtigster Erfolg war die Verhinderung von Eingriffen in unser Recht der Regelung von Berufen im Rahmen des Dienstleistungspakets. Auch die elektronische Dienstleistungskarte gehört dazu. Hier hat die Juncker-Kommission gleich mehrere ihrer eigenen Leitmotive, zum Beispiel die Bekenntnisse zum Bürokratieabbau und zur Subsidiarität, ins Abseits gestellt. Konkret geht es um die Rollenverteilung in der EU. Zunehmend sehen wir den Trend, dass die Kommission in das Tagesgeschäft hineinregieren will. Dabei legt sie Initiativen vor, die hochkompliziert und kaum anwendbar sind. Noch dazu bieten sie in der Realität, fern von Brüsseler Institutionen, kaum einen Mehrwert. Lösungsansätze für Probleme im Binnenmarkt konnten wir nicht erkennen.
Das sagen übrigens nicht nur wir. In einer breiten Allianz der betroffenen nationalen und europäischen Partner haben wir den Vorschlag der Kommission zur Einführung der Dienstleistungskarte gestoppt. Dass das Handwerk mit dieser Sicht nicht alleine stand, zeigte die deutliche Ablehnung der Dienstleistungskarte durch alle beteiligten Ausschüsse im Europaparlament.

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Handwerksblatt: Was lief nicht so gut?
Schwannecke: Beim europäischen Verbraucherrecht liegt einiges im Argen. Es gibt keinen angemessenen Interessenausgleich zwischen Verbrauchern und KMU. Mehr noch, KMU-Interessen fallen hier völlig unter den Tisch. Das sehen wir auch beim Vorschlag der EU-Kommission zur Verbandsklage. Dieser stellt einseitig die Verbraucher besser, obwohl in gleichem Maße auch KMU geschädigt sind. Der ZDH setzt sich daher bei den aktuellen Legislativvorschlägen dafür ein, dass das EU-Verbraucherrecht praktikabler wird und die Interessen von KMU berücksichtigt werden.

Handwerksblatt: Welche Themen werden in der kommenden Legislaturperiode eine Rolle spielen?
Schwannecke: Der Zugang zu Daten wird für Handwerksunternehmen immer wichtiger. Wir brauchen daher einen Rechtsrahmen auf europäischer Ebene, der die Hersteller dazu verpflichtet, ihre Daten auch Dritten zur Verfügung zu stellen. Eine andere Baustelle ist das Beihilferecht. Damit auch der Mittelstand sinnvoll gefördert werden kann, muss es vereinfacht werden.
Kleine Förderbeträge, von denen insbesondere Handwerksbetriebe profitieren, müssen von der Beihilferegelung ausgenommen werden, auch dann, wenn die Beratung über die Handwerkskammern läuft. Außerdem muss noch der EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 verhandelt werden. Wichtig ist, dass die EU auch nach dem Brexit angemessen finanziert wird. Dabei muss sie neue Aufgaben bewältigen, etwa in den Bereichen Sicherheit, Migration und Luftreinhaltepolitik. Aber auch beim Thema Bürokratieabbau ist noch Luft nach oben. Den sollte die Kommission zunächst einmal in ihren eigenen Dienststellen vorantreiben. Ein anderes wichtiges Thema ist die Umwelt- und Klimapolitik, etwa die Luftqualität. Die Digitalisierung durchzieht alle Politikbereiche. Und nicht zuletzt stellen wir uns natürlich die spannende Frage: Wie wird das neue Europaparlament zusammengesetzt sein – und wie wird es nach der Sommerpause arbeiten.

Text: / handwerksblatt.de

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