Ein eingespieltes Team
Brhane Medhane aus Eritrea macht ein Praktikum bei der Kölner Täschnerin Maren Dessel und begeistert sie mit seiner Motivation, seinem Geschick und seiner Genauigkeit.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Geflüchtete: Willkommen im Handwerk!
"Er ist ein super Praktikant", schwärmt Maren Dessel von Brhane Medhane. Erst vor knapp einer Woche hat der gelernte Schneider aus Eritrea ein Praktikum in ihrem Lederatelier "Ross & Rind" in Köln begonnen, schon wirken sie wie ein eingespieltes Team. Ihre Handgriffe am Werktisch sind harmonisch aufeinander abgestimmt.
Medhane hat sich bereits mit den verschiedenen Lederarten vertraut gemacht, den kostbaren Naturstoff zugeschnitten, einige Gürtel angefertigt und bei der Herstellung von Geldbörsen mitgeholfen. Auf eine Kladde aus grauem Leder, die er gemacht hat, ist er besonders stolz. "Ich finde es am besten, wenn Brhane ganze Stücke macht und dafür die Verantwortung übernimmt", erklärt die Täschnerin. "Man merkt, wie viel Spaß es ihm macht, mit dem Material zu arbeiten. Wenn jemand so viel Freude dabei hat, kann man sehr gut und effizient arbeiten."
Eine Bereicherung für alle Beteiligten
In Eritrea hat Medhane ausschließlich manuell genäht, bei Dessel lernt er, wie er das Leder mit einer elektrischen Nähmaschine und einer Doppelmaschine bearbeiten kann. Sein Ziel ist es, vor Ablauf des Praktikums eine der hochwertigen Hand- oder Schultertaschen zu fertigen, verrät er. Alle Produkte sind reine Handarbeit. "Ich arbeite zum Glück in einem Handwerk, das man schnell zeigen kann, und Brhane kann sofort seine Fähigkeiten einsetzen", so Dessel.
Die Zusammenarbeit ist für sie eine Bereicherung, erklärt sie. Nicht nur, weil ihr Praktikant so viel Lust, Geduld und Genauigkeit in die Arbeit einbringt, sondern auch, weil sie nun statt mit Fernsehnachrichten über abstrakte Flüchtlingszahlen mit einem echten Menschen zu tun hat. "Wir sind zwei Menschen, die gerne mit Leder arbeiten. Das ist alles, was hier zählt."
Deutsch lernen bei der Arbeit
Brhane Medhane stanzt ein Loch in einen Ledergürtel (Foto: © Inga Geiser) Das Flüchtlingsthema berühre sie sehr, sagt Dessel. Sie wollte den Menschen, die nach Deutschland kommen, helfen – ganz konkret – und ließ sich in den E-Mail-Verteiler einer Kölner Willkommensinitiative aufnehmen. Wenig später erfuhr sie, dass ein gelernter Schneider aus Eritrea einen Praktikumsplatz sucht. Jetzt steht Brhane Medhane neben ihr und stanzt ein Loch in einen Ledergürtel. Zu Anfang sei er sehr schüchtern gewesen, erzählt Dessel. Mittlerweile machten sie viele Scherze. Fehlt ihm ein Begriff, zeichnet sie diesen auf einen Block und er schreibt das deutsche Wort daneben, um es besser zu behalten. Sie hätten sehr gelacht bei den Versuchen, "Königsblau" oder "Froschgrün" pantomimisch darzustellen. Brhane Medhane gefällt die handwerkliche Arbeit.
Nach seiner Ausbildung zum Schneider hat er nicht in dem Beruf arbeiten können. Mit 19 Jahren ist er in Eritrea zum Militärdienst verpflichtet worden. Es herrscht Zwang zum Militärdienst auf unbestimmte Zeit. Er kämpfte im Krieg gegen Äthiopien, musste bei Auseinandersetzungen gegen Djibouti zum Einsatz. Sieben Monate war er in Gefangenschaft. 2012 versuchte er zum ersten Mal, aus Eritrea zu fliehen. In einem überfüllten Wagen durchquerte er die Sahara. Es gab nicht genug Wasser für alle, die mit ihm auf der Flucht waren. Von Libyen aus wollte er mit dem Schiff nach Europa, doch an Bord wurde er festgenommen und landete für vier Monate in einem libyschen Gefängnis. Nach der Entlassung versuchte er es erneut. Diesmal hatte er mehr Glück und erreichte Lampedusa. 8.500 Dollar hat er für die Flucht gezahlt. Seine schwangere Frau, einen Sohn und eine Tochter musste er zurücklassen. Sie leben jetzt in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien. Den jüngsten Sohn kennt er nur von Fotos und vom Skypen. Er hofft, seine Familie bald wiederzusehen.
Neue Kontakte und Erfahrungen dank Praktikum
Eritrea gilt als eine Art Nordkorea Afrikas. Es herrscht eine Einheitspartei, Staatsoberhaupt ist seit 1993 Präsident Isaias Afwerki. Presse- und Redefreiheit gibt es laut Auswärtigem Amt nicht. Menschenrechtsorganisationen werfen dem Staat schwere Menschenrechtsverletzungen vor und berufen sich dabei auf die Aussage von Flüchtlingen, denn sie selbst haben keinen Zugang zum Land. 2014 haben laut UNO-Flüchtlingshilfe 37.000 Menschen aus Eritrea in Europa Schutz gesucht.
Brhane Medhane hat Glück: Im August startet er eine Ausbildung als Zweiradmechaniker. Das Praktikum bei Maren Dessel will er noch auf bis zu drei Monate verlängern. Dessel ist froh, weil sie den tüchtigen Helfer an ihrer Seite nicht so bald missen will und Medhane, weil er besser schlafen kann, wenn er zusätzlich zum notwendigen Sprachkurs noch arbeitet. In Deutschland hat er bislang nur gute Erfahrungen gemacht. Er lebt bei einer deutschen Familie, die mit ihm Zeitung liest, um seine Deutschkenntnisse zu vertiefen. Mit seinem Gastgeber verbindet ihn die Liebe zur Fotografie. Dieses Jahr zeigt Medhane seine Bilder in einer Ausstellung. Sein Thema: "Menschen". Er liebt es, sie zu fotografieren. Maren Dessel will auch künftig Praktika für Flüchtlinge anbieten. Anderen Betriebsinhabern könne sie das nur empfehlen. "Ich kenne auch diese Berührungsängste", sagt die Täschnerin. "Aber die Zusammenarbeit hat nur Gutes gebracht: neue Kontakte, Netzwerke, Erfahrungen. Es lohnt sich, den ersten Schritt zu tun."
Integration durch Ausbildung im Handwerk (IDAH): IdAH-Mitarbeiterin und Ausbildungsvermittlerin Elcin Ekinci von der Handwerkskammer zu Köln berät Jugendliche mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund über Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk und stellt den Kontakt zwischen Bewerbern und Betrieben her. Sie steht in engem Kontakt zu Generalkonsulaten, Migrantenorganisationen und Integrationsstellen. Ekinci informiert zudem interessierte Betriebe darüber, worauf sie achten müssen, wenn sie Flüchtlinge ausbilden wollen oder welche Fördermöglichkeiten es gibt. "Viele deutsche Betriebe sind offen", so ihre Erfahrung. "Sie möchten den Menschen eine Chance geben und sind gleichzeitig auf der Suche nach guten Fachkräften." Bis zu vier Betriebe melden sich pro Woche bei ihr bezüglich der Ausbildung von Flüchtlingen. Die Tendenz ist steigend. Ekinci ist auch Ansprechpartnerin für die mehrsprachige Ausbildungsbörse der Handwerkskammer zu Köln. Bewerber können sich auf Deutsch, Türkisch, Italienisch, Spanisch und Griechisch beraten lassen. Kontakt: Elcin Ekinci, Tel.: 0221/2022-302, Fax: 0221/2022-328, E-Mail: ekinci@hwk-koeln.d
Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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