Müssen sich Dachdecker an den Kosten einer Zimmerer-Lehre beteiligen?
Ein Dachdecker- und Zimmerermeister fühlt sich von der SOKA BAU und SOKA DACH finanziell benachteiligt. Er schlägt ein Ausgleichsverfahren für die Erstattung von Ausbildungsleistungen vor. Die beiden Sozialkassen können die Argumente des Unternehmers nicht nachvollziehen.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Heftige Proteste gegen Soka-Bau-Abgabe
Thomas Gutwin ist selbstständiger Zimmerer- und Dachdeckermeister. Zurzeit bildet er zwei Männer aus – den einen zum Zimmerer, den anderen zum Dachdecker. In beiden Gewerken gibt es eine jeweils eigenständige Sozialkasse (SOKA) – die SOKA-BAU und die SOKA-DACH. Sie sind unter anderem dafür zuständig, die in den Tarifverträgen des Bau- und Dachdeckerhandwerks vereinbarten Leistungen auszuzahlen. Dazu gehört auch, Ausbildungsbetriebe finanziell zu unterstützen.
In welche Sozialkasse ein Betrieb einzuzahlen hat und damit später auch Leistungen von ihr beanspruchen kann, hängt vom Tätigkeitsschwerpunkt ab. Der liegt im Falle der Zimmerei und Dachdeckerei Thomas Gutwin im Dachdeckerhandwerk. Damit ist die SOKA-DACH für den Betrieb aus Soest zuständig. "Eine Zugehörigkeit eines Betriebs zu mehreren Sozialkassen ist ausgeschlossen", betont Christian Schneider, Geschäftsführer der SOKA-DACH.
Erstattung der monatlichen Ausbildungsvergütung
Sowohl die SOKA-DACH als auch die SOKA-BAU erstatten ihren Ausbildungsbetrieben teilweise die Ausbildungsvergütung. Bei den Dachdeckern gilt dies im ersten Lehrjahr für sieben, im zweiten Lehrjahr für fünf und im dritten Lehrjahr für einen Monat. Die Höhe der Ausbildungsvergütung ist bundesweit für alle Betriebe verbindlich festgelegt. Sie dürfen sie allerdings um bis zu 20 Prozent unterschreiten. Wäre mit der Ausbildung zum Dachdecker am 1. August 2018 begonnen worden, könnten die Betriebe momentan zwischen 8.512 Euro und 10.640 Euro erhalten.
Die Förderung zahlt die SOKA-DACH für Dachdecker-Azubis, in gleicher Höhe aber auch für andere gewerbliche Lehrlinge wie Zimmerer, Klempner oder Maurer. Darüber hinaus erhalten die Ausbildungsbetriebe eine Prämie, wenn sie den ehemaligen Lehrling für mindestens ein Jahr als Gesellen übernommen haben. Erstattet wird ein Monatslohn, der 169 Gesellenstunden umfasst. Ein Junggeselle erhält seit dem 1. Oktober 2019 einen Stundenlohn von 17,21 Euro. Die Prämie läge damit bei etwas mehr als 2.900 Euro.
Während die SOKA-DACH die Ausbildungsvergütung für 13 Monate innerhalb der dreijährigen Ausbildung übernimmt, sind es bei der SOKA-BAU sogar 17 – zehn im ersten, sechs im zweiten und eine im dritten Lehrjahr. Zimmerer-Azubis wird mehr gezahlt als ihren Kollegen aus dem Dachdeckerhandwerk. Für einen Lehrling, der seine Ausbildung im Sommer 2018 in einem westdeutschen Betrieb begonnen hat, beteiligt sich die SOKA-BAU mit maximal 17.175 Euro an der Ausbildungsvergütung. Minimal wären es 13.740 Euro, da auch bei den Zimmerern ein Abschlag um bis zu 20 Prozent erlaubt ist.
Beteiligung an Sozialversicherungsbeiträgen
"Zusätzlich werden 20 Prozent der Brutto-Ausbildungsvergütung als Ausgleich für die Sozialaufwendungen des Ausbildungsbetriebs erstattet. Dies deckt den Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag fast vollständig ab", erklärt Dr. Torge Middendorf, Pressesprecher der SOKA-BAU. Zimmereien, die einen Dachdecker ausbilden, erhalten ebenfalls für 17 Monate die Ausbildungsvergütung. Maßstab aller für die SOKA-BAU branchenfremden Ausbildungsberufe – also auch für die Dachdecker – sei hierbei die Vergütung der Auszubildenden im Bauhauptgewerbe, die nicht um mehr als 20 Prozent unterschritten werden dürfe.
ÜLU-Kosten werden weitgehend übernommen
Zudem tragen beide Sozialkassen weitestgehend die Kosten der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU). Das Geld wird aber nicht den Betrieben überwiesen, sondern die Sokas rechnen direkt mit den Berufsbildungsstätten ab. "Der Betrieb erhält eine Info, für welche Zeiten und in welcher Höhe wir die ÜLU für die Azubis zahlen", erklärt Dr. Torge Middendorf. Die SOKA-BAU gibt pro Tag und Teilnehmer höchstens 59 Euro für den Lehrgang und 43 Euro für Unterbringung und Verpflegung dazu. Die SOKA-DACH zahlt maximal 65 Euro für den Lehrgang und 40 Euro für Unterbringung und Verpflegung. "Erst wenn diese Grenzwerte überschritten werden, stellt die Schule den Betrieben die Differenz gegebenenfalls in Rechnung", so SOKA-DACH-Geschäftsführer Christian Schneider.
Nach diesem Prozedere verfahren auch die Zimmerer. Wie viel die Betriebe dann noch zu zahlen haben, ist der SOKA-BAU nicht bekannt, "weil wir es laut Tarifvertrag auch nicht fördern können", begründet Dr. Torge Middendorf. Die Kosten von Zusatzausbildungen werden – betont der Pressesprecher der SOKA-BAU – allerdings nicht übernommen.
Im Jahr 2018 hat die SOKA-BAU 227 Dachdecker-Azubis gefördert, die SOKA-DACH mit rund 100 Betrieben einen Zimmerer abgerechnet. Insgesamt wurden über alle drei Lehrjahre gesehen rund 6.600 Dachdecker und fast 8.300 Zimmerer ausgebildet.
Entgangene Leistungen circa 16.000 Euro
Weil die Ausbildung eines Zimmerers teurer als die eines Dachdeckers ist, möchte Thomas Gutwin nicht auf den zusätzlichen Kosten sitzen bleiben. Die entstünden etwa, weil die SOKA-DACH die Kosten für die überbetriebliche Unterweisung "nur für manche Tage und dann auch noch mit einem verminderten Satz" übernimmt. Auch die Fahrtkosten zur ÜLU würden den Auszubildenden nicht erstattet. Für Zusatzausbildungen, die von der SOKA-BAU bezahlt werden, sehe er von der SOKA-DACH ebenfalls kein Geld. Als Beispiele führt der Betriebsinhaber einen Treppenbau-Lehrgang, den Staplerschein oder den Erste-Hilfe-Kurs an. Hinzu kommen dann auch noch die vier fehlenden Monate an Ausbildungsvergütung. Alles in allem schätzt Thomas Gutwin, dass ihm circa 16.000 Euro entgehen.
Ausgleichsverfahren zwischen den SOKAS
Er schlägt deshalb ein gegenseitiges Ausgleichsverfahren zwischen den SOKAS vor. Die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) wäre nicht abgeneigt. Sie hält dies für eine spannende Anregung. "Wir werden diese Idee in den kommenden Tarifgesprächen des Dachdeckerhandwerks und des Bauhauptgewerbes ansprechen", kündigt der Pressesprecher der IG BAU, Johannes Bauer, an. Der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) hält nichts von der Idee. "Die Tarifkommission des ZVDH hat sich eindeutig dafür ausgesprochen, dass das oberste Ziel der Sozialkassenförderung die Nachwuchsförderung im Dachdeckerhandwerk bleiben soll", so Pressesprecherin Claudia Büttner. Auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) lehnt ein Ausgleichsverfahren ab.
Von einem Ausgleichsverfahren würden alle profitieren, ist Thomas Gutwin überzeugt. "Ein ausgebildeter Zimmerergeselle, der anschließend in einer Zimmerei tätig wird, bringt der SOKA-BAU später auch erhebliche Beiträge zurück", argumentiert er. Diese Einschätzung teilt Christian Schneider nicht vollständig. "Wenn ein Dachdeckerbetrieb einen Zimmerer ausbildet, dann macht er das nicht für andere Gewerke, sondern erstrangig, um seinen eigenen Fachkräftebedarf zu decken", erwidert der Geschäftsführer der SOKA-DACH. Arbeite der ehemalige Azubi dann als Geselle in seinem Ausbildungsbetrieb, habe die SOKA-BAU also gar nichts davon. "Ist ein Zimmerer in einem Dachdeckerbetrieb beschäftigt, wird der Beitrag für ihn an die SOKA-DACH abgeführt."
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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