Diesel-Skandal: Thermofenster sind an sich nicht sittenwidrig, aber...
Thermofenster in Dieselfahrzeugen reichen nicht aus, um Daimler wegen sittenwidriger Schädigung zum Schadensersatz zu verurteilen. Das hat der Bundesgerichtshof jetzt erneut entschieden. Aber es könnte noch anders kommen, weil die Untergerichte erneut verhandeln müssen.
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Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems – auch Thermofenster genannt – reicht für sich genommen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Der Bundesgerichtshof hatte dies bereits am 19. Januar 2021 erklärt. Die Bundesrichter wiesen den Fall an die Vorinstanz zurück, um zu klären, ob Daimler beim Genehmigungsverfahren vorsätzlich gelogen hat. Am 13. Juli 2021 bestätigte der BGH seine Haltung in einem weiteren Fall und verwies ihn zurück an das Oberlandesgericht Koblenz zur Klärung der weiteren Umstände.
Die Fälle
Die Käufer erwarben 2012 vom Hersteller jeweils einen Mercedes-Benz C 220 CDI mit dem Dieselmotor der Baureihe OM 651, Schadstoffklasse Euro 5. Hierfür gab es keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Die Abgasreinigung erfolgt bei diesen Fahrzeugtypen erfolgt darüber, dass ein Teil der Abgase wieder dem Motor zugeführt wird, was weniger Stickoxid produziert. Diese Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen reduziert ("Thermofenster").
Die Käufer verlangten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe des jeweiligen Fahrzeugs. Sie sehen in dem Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung und behaupten, Daimler habe diese Funktion dem KBA gezielt verschleiert.
Die Entscheidungen
Der Bundesgerichtshof (BGH) verwies beide Fälle zur erneuten Entscheidung an das jeweils zuständige Oberlandesgericht (Köln und Koblenz) zurück. Aber er traf ein paar grundsätzliche Aussagen: Der Autohersteller hat nicht bereits deshalb sittenwidrig gehandelt, weil er das Thermofenster eingebaut hat. Selbst wenn dies als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der EU-Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein sollte und Daimler damit Kosten senken wollte. Es müssen "weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen", erklärte der BGH.
Nicht mit dem VW-Fall vergleichbar
Der Einsatz eines Thermofensters sei nicht mit dem Fall zum VW-Motor EA189 zu vergleichen (BGH-Urteil vom 25. Mai 2020, Az. VI ZR 252/19). Volkswagen hatte mit Abschalt-Software dem KBA beim Testlauf vorgespiegelt, dass seine Kfz die Grenzwerte einhalten. Im Straßenbetrieb war der Stickoxidausstoß aber deutlich höher.
Bei dem Einsatz eines Thermofensters wie hier fehle es dagegen an einem arglistigen Vorgehen des Autoherstellers. Die Abgasrückführung unterscheide nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Es gebe keine Funktion, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere. Vielmehr arbeite sie in beiden Fahrsituationen in gleicher Weise.
OLG hat Argumente des Käufers übergangen
Sittenwidrigkeit läge nur dann vor, wenn zu dem Verstoß gegen die EU-Verordnung weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Autobauer müssten auch mit dem Vorsatz gehandelt haben, bei der Prüfung zu schummeln. Sittenwidrigkeit "setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen", erklärte der BGH wörtlich.
Die Berufungsgerichte hätten aber Argumente der Käufer nicht berücksichtigt: Beide hatten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass Daimler im Genehmigungsverfahren dem KBA unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht habe. Mit diesem Vorbringen werden sich beide OLG in neuen Verhandlungen befassen müssen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Juli 2021, Az. VI ZR 128/2 (Vorinstanz: OLG Koblenz, Az. 12 U 1408/18)
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Januar 2021, Az. VI ZR 433/19 (Vorinstanz: OLG Köln, Az. 6 U 57/19)
Die Musterfeststellungsklage, die der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) am 7. Juli 2021 gegen Daimler eingereicht hat, stützt sich nicht auf das Thermofenster. Der Vorwurf richtet sich gegen andere Abschaltvorrichtungen, teilte der Verband mit.
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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