Berufsschullehrermangel schadet der dualen Ausbildung
Handwerksbetriebe sind bei der Vermittlung von Fachwissen für ihre Auszubildenden auf die Berufsschulen angewiesen. Doch was passiert, wenn dort der Unterricht wegen Lehrermangel ausfällt?
Oliver Knedel hat seine Firma in Meerbusch breit aufgestellt. Neben der klassischen Elektroinstallation ist sein Betrieb in den Geschäftsfeldern individuelle Lichtplanung, Smart-Home-Technologie, Netzwerktechnik sowie Kommunikations- und Sicherheitssysteme aktiv. Für komplexe Aufträge wie diese braucht er kompetente Mitarbeiter. Deshalb kümmert sich Oliver Knedel auch um den Fachkräftenachwuchs.
Max Gentges (M.) und Max Steinbild (l.) machen im Betrieb von Oliver Knedel eine Ausbildung. Dass seine Azubis an der Berufsschule fachfremd unterrichtet werden, ärgert den Elektromeister. Foto: © Ingo LammertZurzeit durchlaufen zwei junge Männer die Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. Das praktische Wissen wird ihnen auf der Baustelle und in der überbetrieblichen Lehrwerkstatt mitgegeben. Für die Vermittlung der theoretischen Grundlagen ist die Berufsschule verantwortlich. Doch dem dualen Partner in Neuss mangelt es Oliver Knedel zufolge an Fachlehrern für den elektrotechnischen Bereich.
Fachfremde Inhalte auf dem Stundenplan
"Die Schüler haben in manchen Wochen nicht mehr als 25 Stunden", kritisiert Oliver Knedel. Statt auf fachspezifischen liege der Schwerpunkt der Unterrichtsfächer vermehrt auf fachfremden Inhalten. Der Aufbau des theoretischen Hintergrundes sei aber eine wichtige Grundlage für den Beruf. Der Elektromeister hat sich an seine Innung gewandt. Dort sei das Problem bekannt, die Unzufriedenheit mit der Situation groß. "Vom Unterrichtsausfall sind die Auszubildenden aller Betriebe und Lehrjahre betroffen", hat Oliver Knedel erfahren.
Unbefriedigende Unterrichtsversorgung
Doch das Problem beschränkt sich nicht nur auf das linksrheinische Elektrohandwerk. "Seit mehreren Jahren beklagen die regionalen Einrichtungen des Handwerks eine unbefriedigende Unterrichtsversorgung an den berufsbildenden Schulen", erklärt der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Gegenmaßnahmen der Berufsschulen wie etwa jahrgangsübergreifende Klassen oder Unterricht durch fachfremde Lehrkräfte bedrohen die erforderliche Unterrichtsqualität.
Auch die regionale Konzentration von Fachklassen sieht der ZDH kritisch. Denn: Je weiter die Jugendlichen zur Berufsschule fahren müssen, desto unattraktiver wird die duale Berufsausbildung. Besonders negativ wirke sich dies in den ländlich geprägten Regionen aus, wo über die Hälfte aller Handwerksbetriebe angesiedelt seien.
Unverändert angespannte Situation
Modellrechnungen der LänderDie Aussichten auf eine bessere Unterrichtsversorgung sind nicht gerade rosig. Im Dezember hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die Modellrechnungen der Bundesländer vorgestellt, wie sich der Lehrkräftemarkt entwickeln dürfte. Für die beruflichen Schulen bleibe die Situation "unverändert angespannt". Im Jahr 2030 werden den Modellrechnungen zufolge Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt und Thüringen ihren Lehrereinstellungsbedarf zu weniger als 50 Prozent decken können. "Hier besteht auf Seiten der zuständigen Landesministerien dringender Handlungsbedarf", meint der ZDH.
Insgesamt ergibt sich laut der KMK-Studie eine "günstige Einstellungssituation" vor allem für Lehrerinnen und Lehrer, die in den beruflichen Fachrichtungen Metall-, Elektro- und Fahrzeugtechnik sowie in den allgemeinbildenden Fächern wie Naturwissenschaften, Fremdsprachen und Mathematik unterrichten können. Anders ausgedrückt: In diesen Fächern könnte der Mangel am größten werden.
Problem ist hausgemacht
Der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB) hält die Lage schon lange für brenzlig. Joachim Maiß bezeichnet den Mangel an beruflichen Lehrkräften als ein hausgemachtes Problem der Politik. "Die Lehrerbedarfsplanung muss in den Ländern und bei der Kultusministerkonferenz verbessert werden", fordert der Bundesvorsitzende des BvLB. Um neue berufliche Lehrkräfte zu gewinnen, regt er zudem eine Nachwuchskampagne an. Es müsse bei Abiturienten und hochqualifizierten Facharbeitern explizit für den Lehrerberuf geworben und es müssten wieder mehr Studienstandorte für die beruflichen Lehrämter geschaffen werden.
Die Forderungen des BvLB im Einzelnen:
- Imagekampagne für den Lehrerberuf an Schulen, Universitäten und Hochschulen durch das Kultusministerium
- Informationsflyer für angehende Abiturientinnen und Abiturienten
- Informationsbroschüren für Berufsberater zur fundierten Beratung angehender Nachwuchskräfte
- Flexible und attraktive Gestaltung einschlägiger Studiengänge, die zum Lehrerberuf für die berufliche Bildung führen
- Einstellungszusagen als Instrument zur Nachwuchsgewinnung in beruflichen Engpassfächern
- Stipendien und Darlehen zur Förderung von einschlägigen Masterstudiengänge mit dem Berufsziel "Lehrkraft für Berufsbildung"
- Attraktive Einstiegsgehälter und mehr Beförderungsstellen an beruflichen Schulen als berufliche Perspektive
- Außertarifliche Zulagen für Seiteneinsteiger zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt
- Bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit der beruflichen Lehrkräfte
Lehrkräfteausbildung attraktiver machen
Azubis dürfen nicht darunter leiden, dass sie längere Schulwegen in Kauf nehmen müssen, weil Fachklassen wegen Lehrermangels zusammengelegt werden. Als kurzfristige Maßnahme fordert der ZDH deshalb, dass alle Bundesländer ein erschwingliches und landesweit gültiges Azubi-Ticket anbieten.
Mittel- und langfristig müssten sie sich deutlich intensiver darum bemühen, neue Lehrkräfte zu gewinnen. Dazu brauche es Steuerungsmechanismen, welche die Lehrkräfteausbildung besonders in unterversorgten Bildungsbereichen attraktiver mache. Seiteneinsteiger werden das Versorgungsproblem auf lange Sicht gesehen nicht lösen. Dennoch sollten ihnen die Wege ins Berufsschullehramt offengehalten werden. "Die Länder müssen Seiteneinsteiger umfassend dabei unterstützen, die erforderliche berufspädagogische Kompetenz möglichst schnell zu erreichen", erklärt der ZDH und schlägt vor, mehr spezielle Begleitstudiengänge für diese Zielgruppe zu entwickeln.
Studie des DHIAuch die Möglichkeiten der Digitalisierung müssten besser ausgeschöpft werden. Eine Studie des Deutschen Handwerksinstituts aus dem Jahr 2017 beschreibe ein Konzept zur ortsnahe Beschulung. Es sieht kleinere Lerngruppen vor, die an verschiedenen Satellitenstandorten mit einem zentralen Unterrichtsort digital vernetzt werden. "Somit kann ein Teil des Unterrichts ohne Präsenz einer Lehrkraft vor Ort stattfinden."
All dies nützt den Elektrobetrieben im Raum Neuss erst einmal nichts. Bei der Vermittlung des technischen und kaufmännischen Wissens sei man auf die Berufsschule angewiesen. Jeder versäumte und nicht nachgeholte Fachunterricht wirke sich negativ aus. "Was nützt uns die modernste Technik", fragt sich Oliver Knedel, "wenn wir bald keine Fachkräfte mehr haben, die sie installieren und warten können?"
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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