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Brandenburg ist in Sachen Bildung gut aufgestellt

Betriebsführung

Die Berufsausbildung steht in Brandenburg vor vielen Herausforderungen. Die neue Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) erklärt, wie sie die vor ihr liegenden Aufgaben angeht.

Seit dem 28. September 2017 ist die gebürtige Hamburgerin Britta Ernst (SPD) Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg. Sie übernahm den Posten von Günter Baaske, der aus persönlichen Gründen zurückgetreten war. Nach der üblichen Politiker-Schonfrist von 100 Tagen stellte sich Britta Ernst den Fragen des Deutschen Handwerksblatts.

DHB: Frau Ernst, Sie haben Ihr Amt als Brandenburger Bildungsministerin vor gut vier Monaten angetreten. Welche Aufgaben hatten in den ersten 100 Tagen für Sie Priorität?
Ernst: Ich habe viele Gespräche geführt, im Ministerium, mit Politikerinnen und Politikern, Verbänden, Interessenvertretungen und anderen. Ich war viel unterwegs im Land, um mir persönliche Eindrücke zu verschaffen. Und ich habe natürlich viele Akten gelesen. Bei all dem habe ich festgestellt, dass Brandenburg in Sachen Bildung, Jugend und Sport gut aufgestellt ist.

DHB: Sie waren zuvor Ministerin für Schule und berufliche Bildung in Schleswig-Holstein. Wie fällt Ihr Vergleich aus – wo ist der Ministerjob spannender?
Ernst: Beides ist gleich interessant und herausfordernd.

DHB: An Brandenburgs Schulen fällt seit Jahren zu viel Unterricht aus. Wie wollen Sie die Zahl der Ausfallstunden reduzieren?
Ernst: Ich sage ganz klar: Jede ausgefallene Unterrichtsstunde ist eine zu viel. Dennoch muss ich widersprechen: Brandenburg hat kein riesiges, flächendeckendes Problem mit Unterrichtsausfall. Der ersatzlose Ausfall liegt seit Jahren bei rund zwei Prozent, von leichten Schwankungen abgesehen. Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist das nicht viel. Natürlich kommt es an einzelnen Schulen partiell zu stärkerem Ausfall, wenn auf einen Schlag drei Lehrkräfte krank werden und zwei Lehrerinnen in Mutterschutz gehen. Aber wir haben sehr gute Instrumente, um drohendem Unterrichtsausfall wirksam zu begegnen. Fällt eine Lehrkraft überraschend aus – Lehrer werden, wie andere Menschen auch krank – erhalten die Schülerinnen und Schüler nach dem Konzept "Verlässliche Schule" in der Regel ein adäquates, qualifiziertes Unterrichtsangebot.

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Um drohenden Unterrichtsausfall angemessen vertreten zu können, hat jede Schule ein eigenes Vertretungskonzept. Das Bildungsministerium unterstützt die Schulen dafür mit zusätzlichen Instrumenten, der Vertretungsreserve und dem Vertretungsbudget. Mit diesem Budget in Höhe von derzeit 5,5 Millionen Euro können die Schulen – neben ihren sonstigen Instrumenten zur Vermeidung von Unterrichtsausfall – schnell und gezielt kurz- und mittelfristigen Unterrichtsausfall angehen. Die Schulen haben sich dafür einen Pool mit infrage kommenden Personen aufbaut, die sie kurzfristig im Vertretungsfall kontaktieren können. Die zweite Komponente des Vertretungsbudgets sind zusätzliche 102 Lehrkräfte-Stellen (5,63 Millionen Euro), die den staatlichen Schulämtern pro Schuljahr zugewiesen werden, um zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen zur Vertretung von dauererkrankten Lehrkräfte einzustellen. Außerdem verfügen die Schulen noch über eine Vertretungsreserve von zirka drei Prozent. Grob gerechnet: Erteilen an einer Schule 100 Lehrerinnen und Lehrer den regulären Unterricht, bekommt die Schule zirka drei weitere Lehrkräfte als Vertretungsreserve. Wir können also rasch und flexibel handeln.

Bei drohendem Unterrichtsausfall entfallen zuerst die zusätzlichen, temporären Angebote wie Teilungs-, Förder- und Wahlunterricht zugunsten des Pflichtunterrichts laut Stundentafel. Das ist so geplant, denn der Pflichtunterricht muss erteilt werden, da werden die Lehrkräfte benötigt. Der Wegfall der zusätzlichen Angebote wird als Unterrichtsausfall wahrgenommen, ist aber keiner.

DHB: Es ist das erklärte Ziel der Brandenburger Landesregierung, zusätzliche Lehrer einzustellen. Wo sollen die herkommen?
Ernst: Wir stellen für jedes neue Schuljahr rund 1.000 neue Lehrerinnen und Lehrer ein und damit ausdrücklich mehr, als ausscheiden. Das ist ein enormer Kraftakt und bislang immer gelungen. Die neuen Lehrkräfte kommen frisch aus dem Vorbereitungsdienst oder aus dem Schuldienst anderer Bundesländer. Dazu müssen wir zunehmend Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger gewinnen.

DHB: Fürchten Sie nicht, dass durch die Quer- und Seiteneinsteiger die Unterrichtsqualität sinkt?
Ernst: Erste Wahl sind natürlich immer voll ausgebildete Lehrkräfte. Ihnen macht das Land Brandenburg ein attraktives Angebot: Verbeamtung, moderate Unterrichtsverpflichtung, gute Bezahlung. Nachdem wir die Bezüge aller Sek I-Lehrkräfte bereits auf A 13 angehoben haben, werden ab kommendem Jahr auch die Grundschullehrkräfte diese Perspektive haben. Darin ist Brandenburg übrigens Vorreiter. Erst wenn sich für eine konkrete Schule, für ein konkretes Fach keine voll ausgebildete Lehrkraft findet, müssen auch wir auf Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger zurückgreifen. Wichtig ist, sie im Schulalltag entsprechend zu begleiten und zu qualifizieren. Wir haben hochmotivierte Seiteneinsteiger, die tollen Unterricht machen und auch von den Schulen als Bereicherung wahrgenommen werden.

DHB: Lenken wir den Blick auf die Berufsschulen. Auch hier werden überall im Land Fachlehrer gesucht. Wie wollen Sie die entstandene Lücke schließen?
Ernst: Das Land Brandenburg beweist seit vielen Jahren, dass es attraktive Konzepte für die Gewinnung von Fachlehrkräften bietet – nicht umsonst können wir unseren Bedarf regelmäßig decken. Allerdings ist auch hier der demografische Wandel herausfordernd, weshalb man stets am Ball bleiben muss.

DHB: Wie erklären Sie sich, dass so wenige Studenten später Berufsschullehrer werden wollen?
Ernst: Dieses interessante Berufsbild ist leider zu wenig bekannt. Wir suchen nach weiteren Wegen, junge Menschen um Mitte 20, die sich umorientieren wollen, dafür zu begeistern.

DHB: In einem Flächenland wie Brandenburg haben viele Lehrlinge lange Anfahrtswege zu den Berufsschulen. Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen, das Netz der Berufsschulen auszubauen?
Ernst: Im Land Brandenburg gibt es bereits ein gut ausgebautes Netz von beruflichen Schulen. An den 25 Oberstufenzentren – von Elsterwerda bis Wittenberge und Prenzlau – werden verschiedene Bildungsgänge und Ausbildungsberufe angeboten. Natürlich gibt es Auszubildende im Dualen System, deren Ausbildungsbetrieb beispielsweise in Cottbus und die Berufsschule in Potsdam sind. Um den Pendelverkehr möglichst gering zu halten, wird der Unterricht oft blockweise erteilt, d.h. die Auszubildenden müssen nur jede dritte Woche zur Berufsschule fahren. Für Übernachtung und Verpflegung beim auswärtigen Berufsschulbesuch können Zuschüsse beantragt werden. Dazu haben wir eine Förderrichtlinie erlassen, mit der wir die Auszubildenden unterstützen.

DHB: Mit welchen Mitteln könnte die duale Ausbildung attraktiver gemacht werden?
Ernst: Wir müssen immer wieder auf die Vorzüge einer dualen Ausbildung hinweisen. Am besten gelingt das miteinander, durch gute Zusammenarbeit. Wir – und damit meine ich das Land, die Kammern und auch die Ausbildungsbetriebe – müssen das Image der dualen Ausbildung verbessern und jungen Menschen die damit möglichen Karrierechancen zeigen. Die duale Ausbildung ist ein sehr attraktiver Berufsweg mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten, über die viel zu wenig bekannt ist. Unsere Ausbildungsoffensive "Brandenburg will Dich! Hier hat Ausbildung Zukunft" will das ändern helfen.

DHB: Der demografische Wandel wirft schon jetzt seine Schatten voraus. Es fehlt an qualifizierten Fachkräften. Längst nicht alle Ausbildungsplätze werden belegt. Was wollen Sie tun, um Fachkräfte und/oder Lehrlinge ins Land zu holen?
Ernst: Qualifizierte Fachkräfte oder Auszubildende kann man nur mit attraktiven Arbeits- und Lebensbedingungen gewinnen. Die Arbeit muss passen, die Aufstiegschancen, die Bezahlung. Aber auch der Kitaplatz oder die Schule in der Nähe, Einkaufsmöglichkeiten, der Arzt, bis hin zu einem funktionierenden Vereinsleben. Das stemmt nicht eine Ministerin allein, da sind alle in der Verantwortung: die Unternehmen, die Kommunen und das Land. Die Landesregierung unterstützt zum Beispiel mit insgesamt rund 200.000 Euro vier Initiativen, die sich um ehemalige Brandenburgerinnen und Brandenburger kümmern, die einst abwanderten und jetzt mit einer Rückkehr liebäugeln.

DHB: Nach wie vor gibt es den Trend, dass möglichst viele Schulabgänger studieren wollen. Welche Ideen haben Sie, um die Berufsorientierung an den Schulen so zu qualifizieren, dass auch wieder stärker Lehrberufe und das Handwerk als attraktive Karrierewege betrachtet werden?
Ernst: Die Berufs- und Studienorientierung an den Schulen hat für die Landesregierung große Priorität und wurde schon frühzeitig als ein zentrales Ziel schulischer Bildung definiert. Fördermaßnahmen wurden schon vor zehn Jahren auf den Weg gebracht. Wir haben die "Landesstrategie zur Berufs- und Studienorientierung", Verwaltungsvorschriften zur Berufs- und Studienorientierung und das Thema im neuen Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 verbindlich verankert.

Zu Beginn des aktuellen Schuljahres wurde zudem zusammen mit der Handwerkskammer Cottbus und vier Oberstufenzentren in Südbrandenburg das Projekt "Berufliches GymnasiumPlusHandwerk" ins Leben gerufen. Dabei können Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zum Abitur bereits Teilwissen für die Meisterprüfung eines Handwerksberufs erwerben. Wer diesen Weg wählt, bekommt frühzeitig einen tieferen Einblick ins Handwerk. Vorteil für beide Seiten: Künftigen Abiturienten erschließen sich neue Perspektiven bei der Berufswahl. Die Betriebe können sich von Anfang an auf die Betreuung geeigneter Nachwuchsführungskräfte konzentrieren und diese frühzeitig für eine Karriere im Handwerk motivieren.

Zur Person: Britta Ernst wurde am 23. Februar 1961 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie zunächst eine Berufsausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft. Daran schloss sich ein Studium zur Diplom-Sozialökonomin an. 1978 trat sie in die SPD ein. Von 1997 bis 2011 war Britta Ernst Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Zwischen September 2014 und Juni 2017 hatte sie das Amt der Ministerin für Schule und berufliche Bildung in Schleswig-Holstein inne. Seit dem 28. September 2017 ist sie brandenburgische Ministerin für Bildung, Jugend und Sport. Britta Ernst ist seit 1998 mit dem SPD-Politiker und Ersten Bürgermeister in Hamburg, Olaf Scholz, verheiratet.

Die Berufsorientierung zielt darauf, die Mädchen und Jungen zu befähigen, am Ende ihrer Schulzeit eine an ihren Fähigkeiten, Interessen und Zielen orientierte Berufswahlentscheidung treffen zu können. Dabei sollen sie auch die beruflichen Anforderungen und Perspektiven in den Blick nehmen. Wir betreiben also keine "Berufe-Orientierung"", sondern eine sehr praxisnahe Berufs- und Studienorientierung, die den Schülerinnen und Schülern auch Ausbildungsberufe näher bringen soll. Dazu gehören in der Sekundarstufe I beispielsweise auch der "Zukunftstag für Mädchen und Jungen" und das in Brandenburg entwickelte Unterrichtskonzept "Praxislernen". Sie sehen, Handwerksberufe haben ihren festen Platz in der Berufs- und Studienorientierung an unseren Schulen.

Text: / handwerksblatt.de

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