Um die private Nachfrage zu stimulieren, schlägt Professor Dr. Gunther Friedl vor, die Einkommensteuer zu senken, den Solidaritätszuschlag sofort abzuschaffen und die steuerlichen Verlustrückträge großzügiger als bisher geplant zu ermöglichen.

Um die private Nachfrage zu stimulieren, schlägt Professor Dr. Gunther Friedl vor, die Einkommensteuer zu senken, den Solidaritätszuschlag sofort abzuschaffen und die steuerlichen Verlustrückträge großzügiger als bisher geplant zu ermöglichen. (Foto: © Bartolomiej Pietrzyk/123RF.com)

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Einkommensteuer senken, Soli sofort abschaffen

Ohne ein Konjunkturprogramm dürfte die Corona-Krise nicht zu bewältigen sein. Für das Handwerk favorisiert der Wirtschaftsexperte Professor Dr. Gunther Friedl im Interview vor allem niedrigere Steuern.

Professor Dr. Gunther Friedl ist Leiter des Ludwig-Fröhler-Instituts (LFI) in München, eines von fünf Forschungseinrichtungen unter dem Dach des Deutschen Handwerksinstituts (DHI), und Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der Technischen Universität München.

DHB: Professor Friedl, das Ludwig-Fröhler-Institut hat die Studie "Die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Handwerk" am 27. März veröffentlicht. Wie sieht Ihre Einschätzung inzwischen aus?
Friedl: Vor rund zwei Monaten haben wir vor allem die angebots- und nachfrageseitigen Risiken für das Handwerk beleuchtet. Jetzt würde ich den Fokus stärker auf die Chancen legen, denn die Corona-Krise wirkt auch als Innovationsbeschleuniger. Viele Betriebe haben sie als überfällige Anpassung genutzt, um ihre Geschäftsmodelle zu digitalisieren. Auch die "Deglobalisierung" – also die Rückkehr der Wertschöpfungsketten in nationale oder regionale Strukturen – kann für viele Handwerksunternehmen durchaus als Chance betrachtet werden.

DHB: Wie kommen Sie zu dieser neuen Perspektive?
Friedl: Ich habe viele Gespräche mit Betrieben geführt. Vor allem die Aussagen der Bau- und Ausbaugewerke machen mir Mut. In der Breite sind sie gar nicht so stark von der Corona-Krise betroffen. Außerdem sind in den vergangenen Wochen viele neue Ideen entstanden. Besuche beim Kunden werden etwa durch Videokonferenzen ersetzt. Dadurch lassen sich Fahrtzeiten einsparen – jetzt, aber auch in Zukunft.

DHB: Hinter uns liegt eine lange Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, in der die Betriebe auch Rücklagen bilden konnten. Die Auftragsbücher waren vor dem Ausbruch der Pandemie gut gefüllt. Kann man von Glück im Unglück sprechen?
Friedl: Teils, teils. Es gibt eine Vielzahl gesunder Betriebe. Für sie sind die Auswirkungen der Corona-Krise durchaus machbar. Doch ich sehe auch die Schattenseiten. Wer vorher schon in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte, wird nun auch am stärksten gebeutelt sein.

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DHB: Bund und Länder haben finanzielle Hilfen in Form von Zuschüssen und Darlehen zur Verfügung gestellt. Wie schätzen Sie deren Wirksamkeit ein?
Friedl: Die Politik hat innerhalb kürzester Zeit wichtige Schritte unternommen. Die von der Bundesregierung und von den Ländern auf den Weg gebrachten Hilfen sind hochwirksam. Natürlich hört man auch, dass es nicht an allen Ecken und Enden gut läuft. So werden Anträge auf Kurzarbeitergeld oder für Kredite zu langsam bearbeitet. Insgesamt muss man aber festhalten, dass Deutschland im internationalen Vergleich mustergültig gehandelt hat. Damit werden sich auch die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise eindämmen lassen.

DHB: Rechnen Sie mit einer weltweiten Rezession?
Friedl: Der Shutdown hat dazu geführt, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten in vielen Bereichen der Wirtschaft teilweise bis auf Null heruntergefahren werden mussten. Die Auswirkungen werden die größten sein, die wir seit langer Zeit gesehen haben. Dennoch würde ich nicht von einer Rezession, sondern eher von einem Einbrechen der Wirtschaft sprechen.

DHB: Das klingt nach "Die Kurse sind richtig in den Keller gerauscht, aber macht euch keine Sorgen, denn der nächste Aufschwung steht schon vor der Tür" …
Friedl: Fest steht: Wir werden einen Einbruch erleben, aber niemand kann seriös vorhersagen, wie schnell es wieder nach oben geht. Zurzeit werden vier Szenarien diskutiert: V, U, W, L. Nehmen wir das V. Es steht für einen starken Absturz, dem ein rascher Aufstieg folgt. Beim U dauert es ein bisschen länger bis das wirtschaftliche Tal durchschritten ist. Das W-Szenario geht von einem Doppeleinbruch aus. Beim L haben wir längere Zeit mit den negativen Auswirkungen zu kämpfen.

DHB: Welches Szenario favorisieren Sie?
Friedl: Ich persönlich glaube an ein U. Es wird sicherlich zwei Jahre dauern bis wir diesen Einbruch überwunden haben.

DHB: Muss es ein Konjunkturprogramm geben?
Friedl: Ja. Allerdings sollten nicht diejenigen begünstigt werden, die am lautesten schreien, sondern es sollte breit angelegt sein. Um die private Nachfrage zu stimulieren, müssten aus meiner Sicht zuallererst die Einkommensteuer gesenkt und der Solidaritätszuschlag sofort abgeschafft werden. Man sollte aber auch direkt bei den Betrieben ansetzen und die steuerlichen Verlustrückträge großzügiger als es bisher geplant ist ermöglichen. Damit könnten Verluste aus diesem Jahr mit den Gewinnen aus 2019 und 2018 verrechnet werden.

DHB: Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks schlägt vor, die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent zu senken.
Friedl: Ich halte es schon für sinnvoll, Bäckereien oder Fleischereien, die Gastronomie oder Catering anbieten, mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz zu unterstützen. Darüber kann man punktuell nachdenken.

DHB: Das Kfz-Gewerbe fordert eine Kaufprämie für Kfz.
Friedl: Bei direkten finanziellen Anreizen bin ich relativ zurückhaltend. Das ist nach der Finanzkrise 2008/2009 deutlich geworden. Die "Abwrackprämie" hatte keinen nachhaltigen und langfristigen Nutzen, sondern nur Mitnahmeeffekten zur Folge. Autokäufe wurden vorgezogen. Im Jahr darauf haben sie gefehlt.

Professor Dr. Gunther Friedl ist Leiter des Ludwig-Fröhler-Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der TU München. Foto: © privatProfessor Dr. Gunther Friedl ist Leiter des Ludwig-Fröhler-Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Controlling an der TU München. Foto: © privat

DHB: In der Studie des LFI werden Liquiditätsengpässe als das gravierendste Problem der kleinen und mittleren Handwerksbetriebe herausgestellt. Reichen denn schon Steuersenkungen aus, um flüssiger zu sein?
Friedl: Steuersenkungen oder die Stundung von Steuerzahlungen lösen das Problem nur zum Teil. Liquiditätsengpässe muss man von mehreren Seiten aus angehen. Die Betriebe dürfen sich beispielsweise nicht scheuen, laufend und intensiv mit ihren Banken darüber zu sprechen, wie sich die Kreditlinien ausweiten lassen. Aber auch die Kunden müssen in einer solchen Krise sensibilisiert und aufgefordert werden, ihre offenen Rechnungen früher zu begleichen. Zudem können moderne Ansätze wie Factoring oder Sale-and-lease-back-Verfahren helfen. Leider spielt das Liquiditäts-Management im Handwerk bislang eine zu geringe Rolle. Das muss sich dringend ändern.

DHB: Wer kann die Betriebe dabei unterstützen?
Friedl: Bei uns im Internet finden sie zahlreiche Checklisten. Ein guter Ansprechpartner sind die Betriebsberaterinnen und Betriebsberater der Handwerkskammern. Auch ein Gespräch mit dem eigenen Steuerberater kann sich lohnen.

DHB: Zum Angebot der öffentlichen Hilfen gehören auch Darlehen und der Aufschub von Zahlungen wie Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge. Doch alles muss irgendwann zurückgezahlt werden. Könnte sich dies als tickende Zeitbombe erweisen, die in drei, vier Jahren hochgeht?
Friedl: Die Corona-Krise wird die Strukturbereinigung in einzelnen Bereichen schnell beschleunigen. Es gibt schon jetzt Betriebe mit einer schwachen Eigenkapitalausstattung und einem hohen Kreditanteil. Allerdings können sie derzeit nicht Pleite gehen, weil die entsprechenden Insolvenzregelungen greifen. Ich fürchte aber, dass wir bereits im Herbst eine Welle von Insolvenzen erleben werden. Davon wird auch das Handwerk nicht verschont bleiben. Dann ist damit zu rechnen, dass einige Unternehmen in ein, zwei Jahren an einen Punkt kommen, an dem sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Bis dahin müsste die Strukturbereinigung aber abgeschlossen sein.

DHB: Wen trifft es, wenn Darlehen im großen Stil nicht zurückgezahlt werden können?
Friedl: Es wird alle Banken treffen: die Privatbanken, die Sparkassen-Organisationen, die Genossenschaftsbanken, aber auch die Landesbanken und die KfW. Das hat man kürzlich gesehen als die Commerzbank ihre Zahlen für das erste Quartal präsentiert hat. Sie muss die Risikovorsorge für Kredite massiv anheben. Das führt zu einem hohen Verlust.

DHB: Droht eine Pleite à la "Lehman-Brothers"?
Friedl: Nein. Die Lehman-Pleite wurde durch das riskante Verhalten amerikanischer Banken bei der Immobilienfinanzierung ausgelöst und hat sich dann in die Realwirtschaft übertragen. Das hat weltweit dazu geführt, dass die Banken sehr zurückhaltend Kredite ausgereicht haben – in Deutschland etwa an Handwerksbetriebe.

Jetzt ist es anders. Auslöser der aktuellen Krise ist eine Epidemie. Sie schlägt auf das Angebot und die Nachfrage in der Realwirtschaft durch. Die Banken haben ihre Hausaufgaben im Wesentlichen gemacht. Sie dürften die Kraft haben, die Krise zumindest auszuhalten. Mehr Sorgen bereiten mir die Haushalte anderer Staaten. Deutschland steht wirtschaftlich gut da, weil wir in den vergangenen zehn Jahren sehr zurückhaltend bei der Neuverschuldung waren. Andere Länder innerhalb der Europäischen Union hatten dagegen mit einer zu hohen Verschuldung zu kämpfen. Die wird es jetzt besonders hart treffen. Diese finanziellen Lasten gemeinsam zu schultern, wird eine Herkulesaufgabe der nächsten zehn Jahre sein.

DHB: Die Einnahmen des Staates brechen massiv ein. Um die Wirtschaft anzukurbeln, muss er aber auch Geld ausgegeben. Aus welchen Mitteln könnte ein Konjunkturprogramm finanziert werden?
Friedl: Das Geld kommt natürlich aus einer Zunahme der Verschuldung. Deutschland kann sich das leisten, aber in den Ländern um uns herum dürfte es schwierig werden.

DHB: Das Handwerk zeichnet sich dadurch aus, dass es auch in schwierigen Zeiten keine Mitarbeiter entlässt. In ihrer Studie sprechen sie von einem "charakteristisch beharrendem Beschäftigungsverhalten". Kann das nicht auch zum Nachteil werden?
Friedl: Zurzeit erleben wir einen wirtschaftlichen Einbruch, aber es wird auch wieder nach oben gehen. Wenn es den Betrieben gelingt, ihren Mitarbeiterstamm auch in der Krise zu halten, können sie bei einem Aufschwung direkt mit voller Kraft starten und müssen nicht erst auf einem abgegrasten Fachkräftemarkt nach neuem Personal suchen.

Damit dies gelingt, hat die Politik die Bedingungen für das Kurzarbeitergeld verbessert. Das war ein wichtiges Signal, denn das Kurzarbeitergeld hat uns schon enorm durch die letzte Krise geholfen. Kombiniert mit flexiblen Arbeitszeitmodellen könnte es dabei helfen, auch die Corona-Krise zu überwinden.

DHB: Eine Umfrage des ZDH zeigt, dass 25 Prozent der Betriebe ihre Ausbildungsleistung aufgrund der Corona-Pandemie reduzieren wollen. Das dürfte den Fachkräftemangel weiter verschärfen. Wie könnte der Staat den Unternehmen helfen?
Friedl: Das ist ein sehr wichtiges Thema. Dem Handwerk muss signalisiert werden, dass die Politik dessen hohe Ausbildungsbereitschaft zu schätzen weiß. Man könnte überlegen, den ausbildenden Betrieben einen Ausbildungszuschuss zu gewähren.

DHB: Die wirtschaftlichen Aussichten sind derzeit nicht gerade rosig. Was macht Sie zuversichtlich, dass das Handwerk und die deutsche Wirtschaft möglichst unbeschadet aus der Corona-Krise herauskommen?
Friedl: Unsere Wirtschaft ist geprägt durch ihre mittelständischen Strukturen. Das macht sie stark. Handwerksbetriebe richten ihren Erfolg nicht nach einer kurzfristigen Optimierung von Gewinnen aus, sondern sie betrachten die langen Linien. Wer so denkt, wird meines Erachtens auch nach der Krise erfolgreich sein und der deutschen Wirtschaft dabei helfen, wieder zu wachsen.

Das Interview führte Bernd Lorenz.

Text: / handwerksblatt.de

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