Die Richter meinen, dass eine Anknüpfung von Öffnungen an eine 7-Tage-Inzidenz von 35, wie es der Beschluss der Bund-Länder-Konferenz vom 10. Februar 2021 vorsehe, nicht mit dem Infektionsschutzgesetz übereinstimme.

Die Richter in Niedersachsen meinen, dass eine Anknüpfung von Öffnungen an eine 7-Tage-Inzidenz von 35, wie es der Beschluss der Bund-Länder-Konferenz vom 10. Februar 2021 vorsieht, nicht mit dem Infektionsschutzgesetz übereinstimme. (Foto: © Daniil Peshkov/123RF.com)

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Friseur-Klagen gegen Betriebsschließungen scheitern

Betriebsführung

Friseure zogen in mehreren Bundesländern gegen die pandemiebedingte Schließung ihrer Betriebe vor Gericht – ohne Erfolg. Aber manche Richter hatten Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme.

Friseure aus verschiedenen Bundesländern wollten vor den Gerichten die coronabedingte Schließung ihrer Betriebe außer Vollzug setzen lassen. Sie hatten zwar keinen Erfolg, aber die Richter in Niedersachsen zweifelten die Rechtmäßigkeit einer schrittweisen Öffnung erst ab einer 7-Tage-Inzidenz von 35 an.

Der Fall in Niedersachsen

Gegen die entsprechende Regelung in der Corona-Verordnung von Niedersachsen hatte der Friseur unter anderem eingewendet, dass in Friseurbetrieben keine Infektionsgefahr bestehe und sich auf die besondere Bedeutung von Friseuren für die Bevölkerung berufen. Außerdem sei dies eine Ungleichbehandlung gegenüber Optikern und Hörakustikern, die weiter geöffnet belieben dürfen.

Die Entscheidung

Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag nach einer sogenannten Folgenabwägung abgelehnt. Für die Richter sei allerdings derzeit offen, ob die Regelung in der Corona-Verordnung rechtmäßig oder unwirksam sei. Sie gingen zwar davon aus, dass die Anknüpfung der Maßnahmen an eine 7-Tage-Inzidenz von 50 unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Infektionsgeschehens als legitimes Ziel anzusehen sei.

Im Hinblick auf künftige Verfahren wiesen die Richter aber darauf hin, dass die Anknüpfung von Öffnungsschritten an eine 7-Tage-Inzidenz von höchstens 35 – wie es der rechtlich unverbindliche Beschluss der Bund-Länder-Konferenz vom 10. Februar 2021 vorsieht – weder mit der Regelung des § 28 a Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes übereinstimme, noch der tatsächlichen Fähigkeit der Gesundheitsämter zur Kontaktverfolgung entspreche.

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Zweifel an Erforderlichkeit der Betriebsschließungen

Im vorliegenden Fall bestünden Zweifel an der Effektivität und damit an der Erforderlichkeit der Betriebsschließungen, da die aus Infektionsschutzgründen deutlich gefährlichere Frisiertätigkeit in den Wohnungen der Kunden durch die Niedersächsische Corona-Verordnung nicht untersagt worden sei. Es sei auch nicht belegt, dass Infektionen in einem Friseurbetrieb ausgeschlossen seien. Die flächendeckende Schließung der Friseurbetriebe verhindere zudem einen Frisiertourismus.

Angemessenheit der Betriebsverbote nicht abschließend geklärt

Es lasse sich diesem Eilverfahren nicht abschließend klären, ob die Betriebsverbote im Hinblick auf die immer größeren Nachteile für die Betriebsinhaber und deren Beschäftigte sowie die gesamte Volkswirtschaft auf der einen Seite und die Gefährdung der zwar hochwertigen aber verfassungsrechtlich nicht absolut geschützten Rechtsgüter Leib und Leben einer Vielzahl Betroffener sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auf der anderen Seite noch angemessen seien.

Der besonderen Bedeutung der Friseurbetriebe für die Bevölkerung habe die Landesregierung aber dadurch genug Rechnung getragen, dass deren Öffnung zum 1. März unabhängig von der Erreichung eines Inzidenzwertes vorgesehen sei, erklärte das Gericht.

Kein Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz

Einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz fanden die Richter nicht. Eine weitergehende Gleichstellung mit medizinischen Dienstleistungen dränge sich nicht auf. Die Ungleichbehandlung der Friseure gegenüber Optikern und Hörakustikern sei gerechtfertigt, da ein Ausgleich von Hör- oder Sehschwächen – anders als ein Friseurbesuch  – essentiell für die Bewältigung des Alltags sei.

Insgesamt überwiege bei einer Folgenabwägung derzeit noch das Interesse an der Vermeidung von Infektions-, Erkrankungs- und Todesfällen, zumal finanzielle Ausgleichsleistungen in Aussicht stünden, die Friseure ihre Tätigkeit durch Aufsuchen ihrer Kunden fortsetzen dürften und ein fester Öffnungstermin feststehe.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Eilbeschluss vom 15. Februar 2021, Az.13 MN 44/21  

Der Fall in Brandenburg

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Eilantrag einer Friseurin gegen die Corona-Verordnung des Landes Brandenburg zurückgewiesen, die es Friseursalons bis 14. Februar 2021 untersagt, ihre körpernahen Dienstleistungen zu erbringen.

Die Friseurin hatte geltend gemacht, dass das Verbot für sie zu existenzbedrohenden Einnahmeverlusten führe und ihre verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit verletze. Zudem verstoße die Regelung im Hinblick darauf, dass Optik- und Hörgeräteakustik-Verkaufsstellen weiterhin offen seien, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Die Entscheidung

Das Gericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt. Die Regelung in der aktuell geltenden Fassung sei nach der im Eilverfahren nur möglichen Prüfung voraussichtlich rechtmäßig. Mit ihr überschreite der Verordnungsgeber gegenwärtig nicht den ihm zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum. Die Antragstellerin habe nicht durchgreifend in Frage gestellt, dass die finanziellen Einbußen durch staatliche Mittel zumindest abgemildert werden.

Der Umstand, dass Optik- und Hörgeräteakustik-Läden nicht geschlossen seien, stelle keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar, denn anders als bei Friseursalons komme es dort nicht typischerweise über eine längere Zeitspanne zu einem körpernahen Kontakt zwischen Dienstleistenden und Kunden.  Im Übrigen sei es wegen der Bedeutung von Brillen und Hörgeräten für das tägliche Leben angesichts des Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers nicht zu beanstanden, die Bedeutung von Optik- und Hörgeräteakustik-Dienstleistungen für die Bedarfsdeckung der Bevölkerung höher zu bewerten als die der Friseursalons.  

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Eilbeschluss vom 11. Februar 2020, Az.11 S 14/21  

Der Fall in Schleswig-Holstein

Den Eilantrag gegen die fortdauernde Schließung von Frieserubetrieben hat das Oberverwaltungsgericht als unbegründet abgelehnt. Antragsteller war der Landesobermeister der Friseurinnung in Schleswig-Holstein, der in Wyk auf Föhr einen Salon betreibt.

Die Entscheidung

Das Gericht hält das Verbot von Dienstleistungen mit Körperkontakt in der Corona-Bekämpfungsverordnung des Landes vom 22. Januar 2021 nach summarischer Prüfung für rechtmäßig. Hausbesuche sowie Anpassungen und Reparaturen von Perücken und Haarteilen für Chemotherapie-Patienten seien darin inbegriffen.

Friseure ohne medizinische Relevanz

Anders als etwa Hörakustikern und Optikern komme den Friseuren keine medizinische Relevanz zu. Auch wenn sie einen wertvollen Beitrag bei dem Erkennen von Krankheiten beim Kunden leisten könnten, mache sie dies nicht zu medizinischen Dienstleistern. Die Regelung gilt noch bis zum 28. Februar 2021.

Bereits Mitte Januar 2021 hatte das Gericht entschieden, dass das Verbot von Friseurleistungen keinen rechtlichen Bedenken unterliege. An diesen Erwägungen hält er unter Verweis auf den Lagebericht des Robert Koch Instituts zu Covid-19 vom 10. Februar 2021 fest. Die aktuelle Infektionslage habe sich infolge der weiterhin diffusen Ausbreitung des Coronavirus sowie der inzwischen aufgetretenen Virusmutationen nicht wesentlich verändert.

Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, körpernahe Dienstleistungen mit entsprechenden Hygienekonzepten und unter Verwendung medizinischer Masken zu erbringen. Letztlich gehe es immer noch darum, generell Kontakte auf der privaten Ebene, die nicht unbedingt erforderlich sind, in der Fläche zu reduzieren. In Anbetracht des Bund-Länder-Beschlusses vom 10. Februar 2021, wonach die Friseure ab dem 1. März 2021 wieder öffnen dürften, könne auch nicht von einem "unbefristeten Berufsausübungsverbot" die Rede sein.

Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Eilbeschluss vom 12. Februar 2021, Az. 3 MR 6/21   

Der Fall in Baden-Württemberg

Eine Friseurin aus dem Landkreis Heilbronnwollte per Eilantragdie Schließung ihres Salons beenden lassen. Dies greife unverhältnismäßig in ihre Grundrechte ein.

Die Entscheidung

Der Verwaltungsgerichtshof wies sie ab mit der Begründung, die Gefahrenlage, die Betriebsuntersagungen rechtfertige, liege immer noch vor. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liege deutschlandweit bei 68 Fällen pro 100.000 Einwohnern, in Baden-Württemberg bei 58.

Durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten bestehe aufgrund deren möglicherweise höherer Ansteckungsfähigkeit ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen. Auch die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3  Infektionsschutzgesetz (IfSG) lägen voraussichtlich vor. Diese Regelung bestimmt, dass bei Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie grundsätzlich ein differenziertes, gestuftes Vorgehen geboten sei, das sich an dem tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientieren solle.

Für die aktuelle Situation einer bundes- und landesweiten Überschreitung des 7-Tages-Inzidenzwerts von 50 müsse das Land deshalb derzeit nach wie vor "landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anstreben". Vor dem Hintergrund zu erwartender Kundenbewegungen sei es sinnvoll, Betriebsschließungen landeseinheitlich zu regeln. Es liege auf der Hand, dass z.B. geöffnete Friseurbetriebe in Landkreis X auch überregional Kunden aus anderen Regionen anziehen dürften und so gerade eine Mobilität zwischen Gebieten mit unterschiedlich hohen Infektionszahlen befördern könnte. Einer erneuten Ausbreitung von Infektionen würde hierdurch Vorschub geleistet.

Grundrechtseingriff ist verhältnismäßig

Der Eingriff in das Grundrecht auf Berufsfreiheit sei verhältnismäßig. Die erheblichen Beeinträchtigungen seien den Betreibern von Friseurbetrieben bei der gebotenen Abwägung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumutbar. Ihren Belangen gegenüber stünden die ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener, für die der Staat eine Schutzpflicht habe, und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands.

Zum Überwiegen dieser Belange trage derzeit auch bei, dass zur Abmilderung der zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen weitgehende staatliche Hilfen vorgesehen seien.

Zudem unterliege die Schließung von Betrieben als dauerhaft eingreifende Maßnahme der Verpflichtung der Landesregierung zur fortlaufenden Überprüfung, insbesondere, wie wirksam die Maßnahmen im Hinblick auf eine Verbreitung des Coronavirus seien, und wie sich die Schließungen für die betroffenen Betriebe auswirkten. Dass der Verordnungsgeber dieser Verpflichtung nicht nachkomme, sei nicht ersichtlich, er habe vielmehr am 10. Februar in Aussicht gestellt, das Betriebsverbot für Friseure "bei entsprechender Infektionslage" ab dem 1. März aufzuheben 

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Eilbeschluss vom 11. Februar 2021, Az. 1 S 380/21  

Betriebsschließungsversicherung Bundesweit streiten sich die vom Lockdown betroffenen Unternehmen derzeit vor vielen Gerichten mit ihren Versicherern über Zahlungen für ihre Umsatzeinbrüche. Allein in München sind laut Presseberichten aktuell 86 Verfahren anhängig.
Das Oberlandesgericht Hamm hat einen Versicherungsschutz abgelehnt, während das Landgericht Mannheim ihn befürwortet. In München ist bereits die nächste Instanz geplant, am Ende wird sicherlich der Bundesgerichtshof für Klarheit und eine einheitliche Linie sorgen müssen.

Text: / handwerksblatt.de

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