Celine Köster hat bei Habib Herzberg ihr Freiwilliges Handwerksjahr absolviert. Diesen Sommer startet die junge Kielerin eine Ausbildung zur Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin. (Foto: © Handwerkskammer Lübeck)

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Positiver erster Durchlauf des "Freiwilligen Handwerksjahrs"

Betriebsführung

Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es im Kammerbezirk Lübeck das "Freiwillige Handwerksjahr". 74 Jugendliche haben es bislang begonnen. Viele von ihnen haben sich bereits für eine Ausbildung entschieden.

Die Handwerkskammer Lübeck zieht eine erste positive Bilanz des "Freiwilligen Handwerksjahrs" (FHJ): "74 Jugendliche haben bisher das Angebot zur Berufsorientierung wahrgenommen, bei dem sie innerhalb eines Jahres vier verschiedene Handwerksberufe ausprobieren können", heißt es in einer Pressemitteilung.

"Super zum Ausprobieren"

Eine von ihnen ist Celine Köster. Sie hat am 1. September 2025 bei Bau und Fliesen Herzberg eine Ausbildung zur Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin angefangen. "Ich durfte direkt mitfliesen, verfugen, verputzen und Silikon erneuern", erinnert sich die Kielerin an ihre erste FHJ-Station, bei der sie "sehr viel gelernt" habe. Vom Freiwilligen Handwerksjahr ist die angehende Bauhandwerkerin begeistert. Es sei "super zum Ausprobieren, wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, welche Ausbildung man machen möchte".  

Ihren Chef hat das Konzept zur besseren Berufsorientierung ebenfalls überzeugt. "Das Freiwillige Handwerksjahr ist genau das, was wir uns seit Jahren gewünscht haben", erklärt Habib Herzberg, der neben Celine Köster einen weiteren Auszubildenden über das FHJ gewinnen konnte. "Wir lernen die Jugendlichen kennen und sie können herausfinden, welcher Beruf zu ihnen passt." Der Erfolg des Angebots basiert für ihn vor allem auf dem Aspekt der Freiwilligkeit: "Dadurch sind sie motiviert, pünktlich und lachen, wenn sie morgens zu uns kommen. Das ist das Wichtigste", so der Fliesen-, Platten- und Mosaiklegermeister.  

Freiwillige Berufsorientierung im Handwerk Weitere Informationen zum "Freiwilligen Handwerksjahr" der Handwerkskammer Lübeck finden Sie im Online-Artikel "In einem Jahr vier Ausbildungsberufe ausprobieren" auf handwerksblatt.de. In Baden-Württemberg wird seit September 2025 das "Freiwillige Berufsorientierungsjahr" erprobt. Mehr darüber lesen Sie im Online-Artikel "KH Böblingen bringt 'Freiwilliges Berufsorientierungsjahr' an den Start".  

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"Erwartungen weit übertroffen"

Nadine Grün, Leiter der Abteilung Nachwuchsgewinnung der HWK Lübeck Foto: © HWK LübeckNadine Grün, Leiter der Abteilung Nachwuchsgewinnung der HWK Lübeck Foto: © HWK Lübeck

Mit der bisherigen Resonanz von Jugendlichen und Betrieben ist Nadine Grün sehr zufrieden. "Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen und wir sehen, dass unser Konzept aufgegangen ist", sagt die Leiterin der Abteilung Nachwuchsgewinnung der Handwerkskammer Lübeck.

Für sie steht fest: Sobald Jugendliche die Handwerkspraxis in Betrieben hautnah kennenlernen, treffen sie auch eine gezielte Entscheidung für eine Ausbildung. Das Projekt wird bis zum Jahr 2027 vom Schleswig-Holsteinischen Institut für Berufliche Bildung (SHIBB) gefördert.

Flexible Starttermine

"Probiert euch aus und dann schauen wir, was unterm Strich dabei herumkommt!", lautet die Devise beim Freiwilligen Handwerksjahr. Die Handwerkskammer Lübeck hat es deshalb bewusst sehr dynamisch angelegt. So gibt es etwa flexible Starttermine. "Die Jugendlichen und die Betriebe können jederzeit mit einem Langzeitpraktikum anfangen - das kann am 1. Juli oder am 15. Februar sein", verdeutlich Nadine Grün. Es sei auch nicht verpflichtend, alle vier Stationen zu durchlaufen. "Wer den richtigen Beruf und den richtigen Betrieb gefunden hat, der kann schon vor Ablauf der zwölf Monate in eine Ausbildung wechseln."

Erste Zwischenbilanz

Start des Projekts war am 1. Juli 2024. Nach einem Jahr hat die Handwerkskammer Lübeck am 30. Juni 2025 eine erste Zwischenbilanz gezogen. Bis zu diesem Stichtag hatten 35 junge Menschen mindestens ein Praktikum begonnen. Zwölf von ihnen haben das Freiwillige Handwerksjahr bei einem zweiten Betrieb fortgesetzt. Zwei aus dieser Gruppe benötigten noch eine dritte Station, um sich beruflich zu orientieren. Die maximale Zahl von vier Langzeitpraktika hatte bis zum 30. Juni 2025 keiner der 35 Teilnehmer absolviert. 

"Für 18 von 35 jungen Menschen stand schon nach dem ersten oder zweiten Praktikum fest, dass sie sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden", freut sich Nadine Grün. Dem stehen jedoch auch zehn Abbrecher gegenüber. Für die Leiterin der Abteilung Nachwuchsgewinnung gehört dies aber zur Berufsorientierung dazu. "Es ist besser, wenn die Jugendlichen während ihres FHJ feststellen, dass eine Ausbildung nichts für sie ist, als wenn sie eine Ausbildung abbrechen", argumentiert sie. 

Viele Betriebe, die ein Langzeitpraktikum im Rahmen des FHJ anbieten, betrachten sich auch nicht als Konkurrenten. "Wenn die jungen Menschen am Ende zu einem anderen Kollegen aus dem Handwerk gehen, ist das für sie ok. Im Vordergrund steht, dass die Jugendlichen mit ihrer Wahl glücklich werden", hebt sie die selbstlose Einstellung der Unternehmer hervor. 

220 Betriebe haben sich bislang selbst in der FHJ-Datenbank registriert. "Diese Zahl führt jedoch in die Irre!", warnt Nadine Grün. Sie sei höher, denn je nach Beruf oder Region sei manchmal auch kein passender Betrieb zu finden. Die Handwerkskammer spricht in diesen Fällen spricht gezielt ausbildungsberechtigte Unternehmen an, die in die Handwerksrolle eingetragen sind. "Bislang haben wir damit nur positive Erfahrungen gemacht und Zusagen erhalten." Die Jugendlichen werden aber auch in die Suche eingebunden und dazu aufgefordert, sich selbst in ihrer Region nach einem geeigneten Praktikumspartner umzuschauen. "So finden wir heraus, wie eigenständig und motiviert die Jugendlichen sind."

Verteilung der Schulabschlüsse       

Als "super-spannend" bezeichnet Nadine Grün die Verteilung der Schulabschlüsse. Etwas mehr als ein Drittel der Teilnehmer konnte zum Zeitpunkt einer aktualisierten Datenerhebung Mitte August das Abitur oder den schulischen Teil der Fachhochschulreife vorweisen. Die restlichen zwei Drittel verteilen sich zu etwa gleichen Teilen auf den Mittleren Schulabschluss (MSA, Mittlere Reife) sowie den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA, Hauptschulabschluss). "Das FHJ bietet den Absolventen einer gymnasialen Oberstufe offenbar ein niederschwelliges Angebot als Alternative zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr, einem Auslandsaufenthalt oder der überstürzten Aufnahme eines Studiums."

"Große Welle" neuer Praktikanten

Offenbar hat es sich inzwischen stärker herumgesprochen, dass das Freiwillige Handwerksjahr unentschlossenen Schulabgängern die Chance bietet, sich beruflich zu orientieren. Seit dem 1. Juli 2025 ist Nadine Grün zufolge eine "große Welle von Jugendlichen" ins Projekt hineingeschwappt. Zu den bisherigen 35 Jugendlichen gesellen sich 39 neue Langzeitpraktikanten. "Bei diesen 74 wird es jedoch nicht bleiben, denn es warten bereits weitere Anfragen im E-Mail-Postfach."

Bundesweites Interesse am FHJ

Doch nicht nur bei den jungen Menschen ist das Interesse gestiegen. "Verschiedene Medien haben seit dem Start des Projekts bei uns angefragt, die Unis fordern Plakate und Flyer für Studienzweifler an und gefühlt haben wir schon mit allen Handwerksorganisationen aus ganz Deutschland telefoniert." Das durchweg positive Feedback von Eltern, Lehrenden und Netzwerkpartnern aus der beruflichen Bildung habe dem Projekt massiven Rückenwind gegeben. "Deshalb wird die Einführung eines Freiwilligen Handwerksjahres auch in anderen Bundesländern diskutiert", ist die Leiterin der Abteilung Nachwuchsgewinnung der Handwerkskammer Lübeck überzeugt.

Quelle: Handwerkskammer Lübeck/eigene Recherche

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Text: / handwerksblatt.de

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