Bereits heute sind Arbeitgeber zur Einführung eines Systems verpflichtet, mit dem sie die tägliche Arbeitszeit einschließlich Überstunden erfassen.

Bereits heute sind Arbeitgeber zur Einführung eines Systems verpflichtet, mit dem sie die tägliche Arbeitszeit einschließlich Überstunden erfassen. (Foto: © Sornranison Prakittrakoon/123RF.com)

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Zeiterfassung fehlte: Behörde erteilt Auflagen

Arbeitgeber sind bereits heute verpflichtet, ein System zur Zeiterfassung einzuführen. Wer dies missachtet, muss mit Auflagen und einer genaueren Beobachtung durch die Arbeitsschutzbehörden rechnen, urteilte das Verwaltungsgericht Hamburg.

Trotz der wegweisenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Az. 1 ABR 22/21), dass Arbeitgeber bereits über § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen, sehen viele Firmen immer noch keinen Anlass zum Handeln. Viele warten auf eine weitere gesetzliche Regelung – die es aber gar nicht braucht!

Diese Praxis ist riskant: Die Aufsichtsbehörden kontrollieren zunehmend die Einhaltung der Zeiterfassung. Es war vorhersehbar, dass erste Verstöße nun die Verwaltungsgerichte beschäftigen, wie in einem Fall aus Hamburg. 

Der Fall

Nach einer anonymen Beschwerde führte die Hamburger Aufsichtsbehörde eine unangekündigte Betriebsbesichtigung bei einem Handelskonzern durch. Dabei stellte sie fest, dass etwa ein Drittel der Beschäftigten ihre Arbeitszeit nicht dokumentieren. Per Bescheid ordnete die Behörde an, dass der Arbeitgeber unter anderem Arbeitszeitnachweise versenden und ein vollständiges System zur Arbeitszeiterfassung einrichten muss.

Nach § 17 Abs. 4 ArbZG kann die zuständige Aufsichtsbehörde vom Arbeitgeber die für die Durchführung des Arbeitszeitgesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen erforderlichen Auskünfte verlangen (Satz 1). Sie kann ferner vom Arbeitgeber unter anderem verlangen, die Arbeitszeitnachweise vorzulegen oder zur Einsicht einzusenden (Satz 2).

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Das Unternehmen wehrte sich gegen die Anordnungen und argumentierte, dass Vertrauensarbeitszeit zulässig sei. Außerdem existiere bislang kein deutsches Gesetz zur Umsetzung des "Stechuhr-Urteils" des EuGH zur Arbeitszeiterfassung.

Das Urteil

Das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg stellte klar: Bereits § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber zur Einführung eines Systems, mit dem Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit einschließlich Überstunden erfasst werden. Diese Pflicht ergebe sich aus einer unionsrechtskonformen Auslegung der Norm – ganz ohne dass es einer weiteren gesetzlichen Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber bedürfe.

Vor diesem Hintergrund seien die behördlichen Anordnungen rechtmäßig. Sie dienten dazu, die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten sicherzustellen und hierdurch die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu gewährleisten. Wer keine Arbeitszeiterfassung etabliere, handele pflichtwidrig und riskiere nach § 17 ArbZG behördliche Maßnahmen oder sogar Bußgelder nach § 22 ArbZG. Bei der Einführung des Arbeitszeitsystems hat das Unternehmen laut Urteil einen Gestaltungsspielraum, es kann ein für den Betrieb und die Arbeitszeitmodelle passendes System – ob digital oder in Papierform – etablieren. Es trage jedoch immer die volle Verantwortung für die Umsetzung und Kontrolle.

Das Urteil des VG steht in einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: Bereits auf Grundlage von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bestehe eine Pflicht der Arbeitgeber, ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einzuführen. Diese Pflicht gelte für sämtliche Beschäftigten, auch bei Vertrauensarbeitszeit. Eine vollständige Delegation auf den Arbeitnehmer sei nicht zulässig. 

Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 21. August 2024, Az. 15 K 964/24

Praxistipp

"Für Arbeitgeber ergibt sich aus dem Urteil des VG Hamburg ein klarer Handlungsauftrag: Ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit muss umgehend eingeführt und kontrolliert werden, sofern dies noch nicht geschehen ist – und zwar auch für Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit", erklären die Rechtsanwälte Dr. Michel Hoffmann, LL.B. und Dr. Malek Park-Said. "Bei der Wahl des Systems bestehen weitgehende Freiheiten. Wenig zielführend ist es, darauf zu vertrauen, dass die Arbeitsschutzbehörden untätig bleiben. Betriebsprüfungen können jederzeit erfolgen, auch ohne vorherige Ankündigung."

Liege ein berechtigter Anlass vor, sei die zuständige Behörde berechtigt, die Vorlage von Arbeitszeitnachweisen zu verlangen. Dabei müsse kein konkreter oder bereits festgestellter Verstoß gegen Arbeitszeitvorschriften vorliegen. Ein solcher Anlass könne sich auch erst bei einer Betriebsbegehung ergeben, etwa wenn dort Auffälligkeiten festgestellt würden. "Besonders problematisch für Unternehmen ist, dass bereits anonyme Hinweise aus der Belegschaft ausreichen können, um eine umfangreiche behördliche Prüfung auszulösen. Arbeitgeber sollten sich hier nicht weiter angreifbar machen", so die Experten. 

Die Arbeitsrechtler empfehlen, frühzeitig das Gespräch mit dem Betriebsrat und den Beschäftigten zu suchen, um praxistaugliche und akzeptierte Lösungen für die Zeiterfassung zu etablieren. Unternehmen sollten ihre Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten sorgfältig erfüllen – insbesondere mit Blick auf mögliche behördliche Prüfungen.  

Das "Stechuhr-Urteil" des EuGH Die Arbeitszeiten der Beschäftigten müssen durch ein verlässliches System gemessen werden. Das sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 14. Mai 2019, Az C-55/18. Alle EU-Mitgliedstaaten der EU müssten die Unternehmen verpflichten, die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Nur so ließe sich überprüfen, ob die zulässigen Höchstarbeitszeiten überschritten würden. Bekannt wurde der Richterspruch in den Medien als das "Urteil zur Rückkehr der Stechuhr".

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Text: / handwerksblatt.de

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