Die Sprossenwand hängt noch windschief in den ehemaligen Turnhalle der Kaserne. Das Gebäude ist verfallen, der Wind zieht durch die fehlenden Fenster. Nur die Graffitis sind neueren Datums. Am Gebäude nebenan erinnert ein verblasstes Schild daran, dass hier mal das Kino "Globe" war.
Vereinzelt liegen gammelige Matratzen in den Baracken. Zeugnisse dafür, dass bis vor kurzem Jugendliche aus der Umgebung die ehemalige Militäranlage der alliierten Besatzungsmächte im Stadtwald von Werl als "Abenteuerspielplatz" genutzt haben. Die seit über 20 Jahren verlassenen Kasernengebäude waren komplett zugewuchert, da konnte man sich austoben.
Die Büsche und Bäume sind inzwischen gerodet, die Jugendlichen halten Zäune und eine Überwachungsanlage fern, und die 65 verfallenen Kasernengebäude – Wohnräume, Sporthallen, Werkstätten, Kraftwerk, Kegelbahn, zwei Kirchen und der Exerzierplatz – weichen gerade den Baggern.
Sieben Aktenordner mit Angebotstext
Die Natur erobert sich den Werler Stadtwald (Nordrhein-Westfalen) auf 54 Hektar Land zurück. Aber nicht sich selbst überlassen, sondern bis ins Detail geplant – inklusive Wanderwegen, einem Waldlehrpfad, Parkplätzen, einem Aufenthaltsraum für Schleiereulen im ehemaligen Trafohäuschen, mit 50 bis 60 Fledermauskästen und einem 35 Meter hohen Aussichtsturm.
In wenigen Wochen soll die Bodenaufschüttung für das neue Landschaftsbauwerk beginnen. Im Büro von Hans-Joachim Olschewski, Prokurist beim Bauunternehmen Hugo Schneider in Hamm, hängen die Wände voller Karten, Pläne, Fotos und Zeichnungen – die Renaturierung des Werler Waldes ist auch für den erfahrenen Diplom-Ingenieur ein nicht alltäglicher Job.
Europaweite Ausschreibung
Im Juli 2017 wurde die europaweite Ausschreibung im Amtsblatt der Stadt Werl veröffentlicht. Acht Unternehmen waren näher interessiert, vier Angebote wurden abgegeben. Den Zuschlag bekam die Bietergemeinschaft der Bauunternehmen Hugo Schneider GmbH und Bernhard Heckmann GmbH & Co. KG, beide aus Hamm (Westfalen), die daraufhin die "Arge Werler Wald" gegründet haben. Also eine eigenständige Firma mit gegenseitiger Haftung. Allein der Angebotstext umfasste sieben Aktenordner.
Was ist eine Arge? "Arge" ist die Abkürzung für Arbeitsgemeinschaft. Im Baugewerbe schließen sich Unternehmen zu einer Bau-Arge zusammen, um gemeinsam Aufträge auszuführen, die einer alleine nicht stemmen könnte. Zwei oder mehrere selbständige Unternehmer kooperieren dann in Form einer BGB-Gesellschaft. In der Regel erfolgt der Zusammenschluss nur für den einen Werk- oder Werklieferungsvertrag, ist also befristet. Zum Beispiel als "Arge Zimmererei" zum Umbau eines Kindergartens. Einer Bau-Arge vorgelagert ist in der Regel eine Bietergemeinschaft zur Abgabe des Angebots für den Bauauftrag.
Die Diplom-Ingenieure Hans-Joachim Olschewski (Hugo Schneider) und Björn Serowy (Heckmann) sind ein spürbar eingespieltes Team. Der kaufmännische und der technische Leiter des Projekts treffen sich jeden Mittwoch zur Lagebesprechung erst im Büro und dann auf der Baustelle.
Kostenneutral für die Stadt Werl
Die Stadt Werl hat für die Umgestaltung des 1994 aufgegebenen Kasernen-Komplexes und zum Naherholungsgebiet ein interessantes Finanzierungsmodell gewählt: Für die Kommune ist das 14 Millionen Euro umfassende Mammutprojekt kostenneutral – sie zahlt also nichts dafür, bekommt sogar noch einiges dafür, unter anderem den außergewöhnlich gestalteten Aussichtsturm aus Holz und Stahl in Dreiecksform. Das wird das höchste Gebäude von Werl. "Von dort aus wird man einen Blick auf das Münsterland, das Sauerland und das Ruhrgebiet haben", schwärmt Olschewski.
Der Deponieraum wird immer knapper
Aber warum ist das Projekt auch ohne Bezahlung von der Stadt interessant für die beiden Bauunternehmen? Sie können im Gegenzug den Wald mit unbelastetem Bodenaushub wie er zum Beispiel bei Neubauten anfällt, aufschütten und dies auch bei anderen Bauunternehmen vermarkten. Die Arge beschäftigt unter anderem einen Wiegemeister, Polier, Bauleiter und einen Bodenmanager. Heinz Topp, der Bodenmanager, stellt das Projekt aktuell bei anderen Bauunternehmen vor und macht die Akquise. "Da der Deponieraum immer knapper wird, sichert das die Infrastruktur der Bauunternehmen", meint Olschewski.
Zwei Millionen Tonnen Boden
530 Meter lang, 410 Meter breit und 25 Meter hoch wird das Landschaftsbauwerk. Zwei Jahre lang sind die Unternehmen beziehungsweise deren Hausbanken in Vorleistung gegangen, aber bald soll sich das Ganze rechnen. Dann nämlich, wenn die ersten LKW mit Boden kommen. Im April 2019 soll es soweit sein. Insgesamt werden es zwei Millionen Tonnen Boden sein, die hier in den nächsten fünf Jahren abgeladen werden. "Das wären 90.000 LKW-Ladungen", erzählt Björn Serowy.
Aushub wird dreimal kontrolliert
Der Aushub wird vorher von drei unabhängigen Stellen kontrolliert, bevor er auf dem Gelände verteilt werden kann. Für die Bauunternehmen rechnet sich das Projekt auch deshalb, weil sie hier selbst eine neue Lagermöglichkeit für Boden aus eigenen Bauprojekten haben. Er soll etwa die Hälfte der benötigten Erde ausmachen.
Björn Serowy und Hans-Joachim Olschewski haben sichtlich Spaß an dem Großprojekt. Wenn sie das Gelände inspizieren, dann entdecken Sie immer wieder Neues. Sei es eine Fledermausfamilie, die noch aus einem der verfallenen Kasernengebäude in einen der neuen Kästen umziehen muss, oder ein altes Kirchenkreuz, das man für den Pfad der Erinnerung gebrauchen könnte. Der Weg mit Andenken aus den Camps soll die Bevölkerung an den Militärstandort im Stadtwald erinnern.
Baugewerbe: Das ist ein Projekt mit Vorbildcharakter
Auf Deutschlands Autobahnen sind täglich tausende LKW unterwegs, die Bau- und Abbruchabfälle von A nach B bringen. Für Hermann Schulte-Hiltrop, Hauptgeschäftsführer des Baugewerbeverbandes Westfalen, ist das Projekt im Werler Wald ein ideales Beispiel dafür, wie es auch gehen kann. Wie man große Mengen unbelastete mineralische Überbleibsel direkt vor Ort entsorgen kann, ohne die überlaufenden Deponien und verstopften Autobahnen zu belasten.
"Das ist eine dreifache Win-Situation. Die Bürger bekommen ein neues Naherholungsgebiet, die Umwelt wird geschont und die Bauunternehmen können das nicht belastete Material direkt vor Ort in dem Landschaftsbauwerk verbauen." Eine ideale Lösung mit Vorbildcharakter. "Auch weil hier die Stadtverwaltung von Werl das Projekt gemeinsam mit der freien Wirtschaft realisiert", so Schulte-Hiltrop.
Das Thema ist auch deshalb so aktuell, weil die Bundesregierung gerade an einer Mantelverordnung für Bauabfälle und an der Einführung einer Ersatzbaustoffverordnung (EBV) arbeitet. Bau- und Abbruchabfälle machen mit 222 Millionen Tonnen im Jahr mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens aus. Das Baugewerbe befürchtet, dass im Zuge der neuen Mantelverordnung noch mehr Bauabfälle deponiert werden müssen.
Knackpunkt ist die Frage, ob aktuell genutztes Recyclingmaterial künftig noch verbaut werden darf oder ob es auf Grund neuer Materialwerte zur Deponie gefahren und entsorgt werden muss. Was auch bedeute, dass dann Ersatzmaterial herangeschafft werden müsste. Tausende LKW-Fahrten, die neue dazukämen. "Das belastet den Verkehr, die Umwelt und die Deponieflächen, die ohnehin schon sehr begrenzt sind", betont Schulte-Hiltrop.
Text:
Kirsten Freund /
handwerksblatt.de
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