Kein Lohn bei Online-Krankschreibung
Chefs müssen kein Online-Attest akzeptieren, das ohne eine ärztliche Untersuchung ausgestellt wurde. Der Mitarbeiter hat für diese Zeit keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Ein Attest, das über den Online-Dienst "www.au-schein.de" ohne vorheriges Arztgespräch ausgestellt wurde, reicht nicht für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber muss es nicht akzeptieren und auch keinen Lohn für die Krankentage zahlen.
Der Fall
Der Online-Dienst "www.au-schein.de" stellt gegen Gebühr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) im Wege der Fernbehandlung aus. Patienten müssen dafür nur einen Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand ausfüllen und erhalten dann eine AU als PDF zugeschickt. Nutzer können zwischen Grunderkrankungen auswählen und müssen Fragen beantworten, wobei vorgegebene Antwortmöglichkeiten und Symptome zur Auswahl angeboten werden (zum Beispiel zu Erkältungskrankheiten, Magen-Darm-Infekt, "Stress", Rückenschmerzen). Die ärztliche Anamnese beruht im Regelfall auf diesen Angaben.
Ein Berliner Sicherheitsmitarbeiter schickte seinem Vorgesetzten zwei AU, die von einer Hamburger Gynäkologin über die Internetseite "www.au-schein.de" ausgestellt worden waren. Dafür hatte der Mann nur ein paar Fragen online beantwortet, es fand weder ein persönlicher noch ein telefonischer Kontakt statt. Er verlangte wegen der AU Entgeltfortzahlung, die sein Chef aber ablehnte.
Das Urteil
Das Arbeitsgericht stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers. Dem Mann stehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zu, denn er habe seine Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen. Von einer "ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (so etwa Az. 5 AZR 422/75) könne nicht ausgegangen werden, wenn der Ausstellung keine Untersuchung vorausging und mangels Patientenbeziehung auch eine Ferndiagnose ausscheidet.
Die vorgelegten AU seien nicht für den Beweis geeignet, da keine Untersuchung stattgefunden und die ausstellende Ärztin auch kein persönliches oder telefonisches Gespräch mit dem Mann geführt habe.
Corona-Sonderregeln nicht anwendbar
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den derzeit geltenden Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung aufgrund der Covid-19-Pandemie. Die Ausnahmeregelung verdeutliche vielmehr, dass sogar in dieser Ausnahmesituation ein persönlicher Kontakt mindestens in Form eines Telefonats nötig sei.
Der Mann habe den Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit auch nicht auf andere Weise erbracht. Das Gericht sah daher die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers als nicht bewiesen an und wies deshalb seine Zahlungsklage ab.
Praxistipp von der HWK Koblenz
"Bei dem vorliegenden Urteil handelt sich um eine erste arbeitsgerichtliche Entscheidung zum Umgang mit über Online-Dienste ausgestellten AU. Es bestätigt im Ergebnis unsere Rechtsauffassung, dass Bescheinigungen, denen keine persönliche ärztliche Untersuchung vorangeht, kein Beweiswert zukommen kann", erklärt die Handwerkskammer Koblenz.
"Für den Arbeitgeber ist es allerdings oftmals schwierig zu beurteilen, ob es sich bei der vom Arbeitnehmer vorgelegten AU um eine Online-AU handelt. Indizien dafür können eine fehlende Vertragsarztnummer auf der Bescheinigung oder eine große Entfernung zwischen Wohnort des Arbeitnehmers oder dem Arbeitsort und dem Ort der Praxis des ausstellenden Arztes sein."
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 1. April 2021, Az. 42 Ca 16289/20
Corona-Sonderregelung zur telefonischen KrankschreibungBefristet bis zum 30. September 2021 können Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, telefonisch bis zu sieben Kalendertage krankgeschrieben werden. Niedergelassene Ärzte müssen sich dabei persönlich vom Zustand der Patienten durch eine eingehende telefonische Befragung überzeugen. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung kann telefonisch für weitere sieben Kalendertage ausgestellt werden.
Alle befristeten Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie gibt es hier: www.g-ba.de/sonderregelungen-corona
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Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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