Zur Lage des Handwerks und den aktuellen politischen Herausforderungen spricht Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), auf der DHKT-Hauptgeschäftsführertagung in Warnemünde:
Das Handwerk verbindet man gerne mit Superlativen. "Ausbilder der Nation" ist einer, oder der berühmte "goldene Boden", auf dem das Handwerk steht, ein anderer. Dank unserer dualen Ausbildung hat Deutschland die geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Wir stellen fest: Das stimmt! Und wir sind stolz auf diese herausragenden Leistungen des Handwerks. Jetzt haben wir einen neuen Superlativ, einen von dem unsere mehr als eine Million Betriebe mit ihren knapp 5,4 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ihren fast 400.000 Azubis besonders profitieren. Die konjunkturelle Lage des Handwerks wurde noch nie so gut beurteilt, seit der ZDH nach der Wiedervereinigung die Konjunkturberichterstattung aufgenommen hat.
Im Detail heißt das: Plus beim Umsatz, mehr Beschäftigte, mehr Auszubildende, steigende Auftragsreichweiten, die den Betrieben eine zunehmende Auslastung bescheren, und – besonders erfreulich – wieder steigende Investitionen der Betriebe. In Zahlen ausgedrückt: Der Geschäftsklimaindex, der Erwartungen und aktuelle Lage bündelt, steigt auf ein Allzeithoch von 92 Punkten.
Starke 54 Prozent der Betriebe bezeichnen ihre aktuelle Geschäftslage als gut – fünf Prozentpunkte mehr als im Herbst 2015. Nur noch acht Prozent berichten von schlechten Geschäften, nochmals zwei Prozentpunkte weniger als im Vorjahreszeitraum. Bis zum Jahresende erwarten ebenfalls 92 Prozent der Betriebe, dass die Entwicklung so weitergeht.
Steigende Beschäftigung und real wachsende Löhne beflügeln die Konsumfreude der Verbraucher. Niedrige Zinsen und der starke Zuzug in die Ballungsräume beeinflussen vor allem den Wohnungsbau positiv. Von der guten Binnenkonjunktur profitieren alle Handwerksbereiche. Lediglich die Handwerke für den gewerblichen Bedarf, die eng mit der Exportindustrie verbunden sind, zeigen sich verhaltener bei der Beurteilung ihrer Geschäftslage als im Vorjahr.
Geschäftslage in den Handwerksbereichen
Bau
Der florierende Wohnungsbau trägt die Konjunktur im Bauhauptgewerbe. 58 Prozent der Betriebe melden gute Geschäfte – 6 Prozentpunkte mehr als im Herbst 2015. Die Auftragsreichweite liegt bei 9,5 Wochen – eine Zunahme um 0,6 Wochen.
Ausbau
Neubau, vor allem aber die hohe Nachfrage nach Sanierungen kurbeln das Geschäft an. 63 Prozent der Betriebe sprechen von guter Geschäftslage, weitere 32 von zufriedenstellender. Die Betriebsauslastung ist hoch, ebenso die Einstellungsbereitschaft.
Gewerblicher Bedarf
Leichte Abschwächung auf hohem Niveau. Immerhin berichtet noch mehr als jeder zweite Betriebsinhaber von guten Geschäften (51 Prozent, plus 2 Prozentpunkte gegenüber dem Herbst 2015). Die Betriebe stellen auch bereits neue Mitarbeiter ein, da sie in den kommenden Monaten eine verbesserte oder stabile Geschäftslage erwarten.
Kraftfahrzeuge
In diesem Jahr sind die Pkw-Absätze gestiegen, das Servicegeschäft ist gut ausgelastet. Folglich nennen 89 Prozent der Betriebsinhaber die Lage gut oder zufriedenstellend (plus 2 Prozentpunkte gegenüber Herbst 2015). Die Betriebe melden Beschäftigungsaufbau.
Lebensmittel
Die Geschäftslage erreicht ein Spitzenniveau. 92 Prozent der Betriebe sehen die Lage als gut oder zufriedenstellend an (plus 2 Prozentpunkte gegenüber Herbst 2015). Und es soll noch besser weitergehen, sagen 52 Prozent der Bäcker, Brauer, Fleischer und Konditoren. Viele suchen daher nach neuen Mitarbeitern.
Gesundheit
Konstant gute Geschäfte, steigende Beschäftigung, positive Erwartungen.
Persönliche Dienstleistungen
Die Zahl der Betriebe mit besserer Geschäftslage steigt von 35 Prozent (Herbst 2015) auf 39 Prozent. Insgesamt erreichen Betriebsauslastung und Erwartungen das Niveau des Vorjahres.
Die Umsätze im Gesamthandwerk haben bereits im 1. Halbjahr 2016 um 4,6 Prozent zugelegt. Daher ist auch für den weiteren Jahresverlauf ein deutliches Umsatzplus zu erwarten. Für das Gesamtjahr 2016 rechnen wir damit, dass die Umsätze im Handwerk um dreieinhalb Prozent wachsen. Besonders erfreulich ist, dass die Betriebe wohl auch ihren Personalbestand aufstocken können. Bis zum Jahresende sollten bis zu 15.000 zusätzliche Stellen im Handwerk entstehen. Dazu tragen die jüngsten Erfolge auf dem Ausbildungsmarkt ebenso bei wie verstärkte Bemühungen, Fachkräfte nach der Ausbildung im Handwerk zu halten.
Im kommenden Jahr wird die Wachstumsdynamik grundsätzlich anhalten. Die Topwerte dieses Jahres werden wir aber wohl nicht mehr erreichen. Doch auch für 2017 erwarten wir wieder ein deutliches Plus von zweieinhalb Prozent bei den Umsätzen der Handwerksbetriebe. Die Beschäftigung sollte in ähnlichem Umfang zunehmen wie im laufenden Jahr.
Handwerk wächst ungeachtet aller Krisen
Das Handwerk hat seine Chance genutzt. Seit dem Aufschwung auf dem Binnenmarkt Mitte der "Nuller-Jahre" wächst das Handwerk. Dies gilt ungeachtet aller Krisen – etwa der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise oder der europäischen Krisen. Das beweist, wie flexibel und wie schnell kleine und mittlere Betriebe auf Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren können. Nach zehn Jahren Aufschwung, im Herbst 2016, melden die Betriebe ein neues Allzeithoch beim Geschäftsklimaindex, der Lage und Erwartungen zusammenfasst. Das hat gute Gründe.
Die Gründe
- Die Betriebe ziehen bei der technologischen Entwicklung mit. Viele Betriebe haben die digitale Entwicklung verfolgt und bereits die für ihre jeweilige Branche nutzbringenden Entwicklungen aufgenommen. Zehntausende leistungsfähige Handwerksbetriebe sind sogar Treiber der digitalen Entwicklung geworden, da sie national und international im starken Wettbewerb stehen. Jetzt gilt es, die Breite der Betriebe mit der Digitalisierung vertraut zu machen und ihre Beschäftigten zu schulen. Daran arbeitet das gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ins Leben gerufenen Kompetenzzentrum Digitales Handwerk.
- Das Handwerk hat früh die existenzsichernde Bedeutung der Nachwuchswerbung erkannt. Es ist ein wichtiges Ziel, die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung nicht nur auf dem Papier festzuschreiben, sondern auch in den Köpfen zu verankern. Kein anderer Wirtschaftsbereich schiebt so energisch Projekte der beruflichen Bildung an. Ausbildung, Fort- und Weiterbildung, höhere Berufsbildung, Verknüpfung von Abitur und Ausbildung, duales und triales Studium – für alle Schulabgänger, für alle Karriereziele bietet das Handwerk den individuellen Weg. Wir drängen bei den Betrieben, in der eigenen Organisation und in der Bundes- und Landespolitik auf zügige, nachhaltig wirkende Lösungen bei der Nachwuchsproblematik. Nur dank dieser Offensive ist es gelungen, den Negativtrend zu durchbrechen und 2015 und 2016 ein Plus bei den neuen Ausbildungsverträgen zu erreichen.
- Das Handwerk glaubt an die eigene Stärke - und an die Zukunft. Das ist ein ganz wichtiger Faktor für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Betriebe investieren – in Fachkräfte, in Bildung, in die digitale neue Welt. Wir erwarten auch von Bund und Ländern flankierende Investitionen - etwa in die Bildungsinfrastruktur. Es muss im Interesse von Staat und Gesellschaft sein, dass das deutsche Handwerk seine Stärken für Wirtschaft und Gesellschaft auch in Zukunft ausspielen kann.
Es darf nicht vergessen werden, dass Belastungen des Faktors Arbeit das beschäftigungsintensive Handwerk besonders hart treffen. Alle Möglichkeiten, einen Kostenanstieg bei den Beiträgen zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu begrenzen, müssen genutzt werden. Alle Pläne, durch Wahlgeschenke den Sozialversicherungen neue Milliardenkosten aufzubürden, müssen gestoppt werden. Die Industrie zahlt Lohnzusatzkosten für einen Maschinenführer, dessen Maschine 100 Arbeiter ersetzt hat – im Handwerk werden sie immer noch für die 100 Beschäftigten fällig. Für die Betriebe ist das eine entscheidende Frage, wenn es um ihre Wettbewerbsfähigkeit geht!
Wir müssen daran denken, in Zeiten von Rekorden bei den Steuereinnahmen alle Möglichkeiten zur Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen zu nutzen. Nur das garantiert eine Verstetigung der guten Binnenkonjunktur, da die Kaufkraft jedes einzelnen gestärkt wird.
Soli abschaffen
Foto: © ginasanders/123RF.comIn diesen Kontext gehört auch der Soli. Er muss abgeschafft werden. Seine festgelegte Dauer läuft aus. Es wäre unlauter, jetzt die Milliardeneinnahmen einfach weiter in den Staatssäckel fließen zu lassen. Wer zusätzliche Einnahmen für neue Projekte will, muss diese begründen und seine Pläne durch die parlamentarischen Gremien bestätigen lassen. Ein einfacher Zugriff auf Einnahmen, die für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr gebraucht werden, ist nicht zu akzeptieren.
Die Einnahmen aus der "kalten Progression" sind aktuell wieder Gegenstand zahlreicher Studien. Das Handwerk setzt darauf, dass künftig nicht nur alljährlich ein Bericht über die Entwicklung der "kalten Progression" vorgelegt wird, sondern auch gehandelt wird. Einkommensteuerzahler dürfen nicht aufgrund des Sprungs in eine höhere Steuerklasse nach Gehaltserhöhungen über Gebühr zur Kasse gebeten werden.
Investitionen in die Infrastruktur verbessern
Angesichts der enormen Steuermehreinnahmen des Staates aufgrund der guten Konjunktur muss der Staat seine Investitionen in die Infrastruktur verbessern und verstetigen. "Keine Funklöcher, keine Schlaglöcher" – das muss die Devise sein. Leistungsfähige Straßen und Brücken, ein bis in die Regionen hinein ausgebautes schnelles Breitbandnetz für den Datenverkehr, sowie flächendeckende Mobilfunkmöglichkeiten, auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, gehören zur Daseinsvorsorge für die Bürger und sind unabdingbar für eine funktionierende Wirtschaft.
Zusammengefasst: Die Wachstumsrendite muss investiert werden - 1. in Zukunft; 2. in Generationengerechtigkeit; 3. in die Entlastung der Leistungsträger. Das ist der Dreiklang des Handwerks, der heute aktueller denn je ist. Das Handwerk bietet Bestmarken. Es stabilisiert Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür verdient es Rückenwind.
Hier geht es zum kompletten Konjukturbericht des ZDH
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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